Der folgende Artikel ist ursprünglich erschienen in: AVR
31 (1993), S. 333-352.
Professor Dr. Wilfried Fiedler
Die Kontinuität des deutschen Staatswesens
im Jahre 1990
- Zur Einwirkung des Völkerrechts auf Verfassungslagen
-
I. Die Ausgangslage des Jahres 1990
II. Kontinuitätsprobleme vor 1945
1. Die Revolution von 1918
2. Das zweistufige Modell der Normativisten und
seine Fortwirkung
3. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
4. Die Umgestaltung der Weimarer Reichsverfassung
seit 1933
III. Vom Kriegsende zur "Stillen Revolution"
1. Der staatliche Zusammenbruch von 1945
und die Rolle des Bundesverfassungsgerichts
2. Vier-Mächte-Verantwortung, Selbstbestimmungsrecht
der Völker und die Staatenpraxis
IV. Kontinuitätswahrende Elemente der konkreten Staatlichkeit
1. Der Kontinuitätsbezug
2. Verfassungskontinuität
3. Völkerrechtliche Elemente der Kontinuitätswahrung
a) Der Fortbestand der Nation
b) Selbstbestimmungsrecht der Völker contra Vier-Mächte-Verantwortung?
c) Kontinuitätswahrung durch internationale Einwirkung
4. Staatskontinuität durch Internationalisierung?
I. Die Ausgangslage des Jahres 1990
Die Abhängigkeit des Staats- und Verfassungsrechts von internationalen
Einwirkungen, insbesondere aus dem Bereich von Völker- und Europarecht,
hat schon in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche zu Tage gebracht,
die internationalen Grundlagen des geltenden Verfassungsrechts zu erfassen.[1]
Dabei lieferte gerade das deutsche Staatsrecht unter dem Grundgesetz das
inzwischen geläufige Bild von der internationalen Offenheit der Verfassung,
wofür die Art. 24 und 25 GG symbolisch standen.[2]
Trotz aller eingeräumten und für notwendig erachteten Zusammenhänge
beschritt die Dogmatik aber in aller Regel spezifische "Brücken", die
zwischen zwei unterschiedlich gedachten Rechtsbereichen errichtet waren
.[3]
Das Denken in "dualistischen" Modellen bediente sich verschiedener
Transformationsvorstellungen, um im konkreten Einzelfall alle wirksamen
Aspekte einzubeziehen. Eine strenge Unterscheidung etwa zwischen Staats-
und Völkerrecht wurde dabei schon früh von "Gemengelagen" durchbrochen,
die vor allem in der Deutschlandfrage für systematische Unklarheit sorgten
.[4]
Inzwischen steht fest, daß die "Gemengelage" meist dem jeweils fallbezogenen
Verhältnis zwischen nationalem und internationalem Recht entsprach, während
die systematischen Unklarheiten eher in den Köpfen der Interpreten entstanden.
Daß differenzierende Fragen zu stellen waren, die im konkreten Fall mehr
der einen oder mehr der anderen Rechtsmaterie zuzuordnen waren, änderte
nichts daran, daß nur der Zusammenhang beider verläßliche Antworten
liefern konnte, ohne daß die systematischen Eigenarten des Details in
ein notwendig diffuses Licht getaucht werden mußten
.[5]
Das Thema der staatlichen Kontinuität zeigt in Deutschland
ein fast schon "klassisches" dogmatisches Ineinandergreifen rechtssystematisch
ganz unterschiedlich gelagerter Fragen. Daß etwa das Fortbestehen des
Staates wenig über das Weiterbestehen einzelner Rechtsverhältnisse aussagt,
hatte schon das Bundesverfassungsgericht zu frühen Schwankungen seiner
Rechtsprechung im Bereich des Fortbestehens von Beamten- und Soldatenrechtsverhältnissen
veranlaßt.[6]
Daß von der Beendigung der Rechtsverhältnisse im öffentlichen Dienst
nicht auf das entsprechende Ende des Staates selbst geschlossen werden
konnte, mußte das Gericht erst im Wege des "Nachfassens" klarstellen.[7]
Daß umgekehrt nicht das Ende der Staatlichkeit der DDR für sich genommen
zum Ende der öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse in der früheren
DDR führte, sondern die konkreten Festlegungen in einem Staatsvertrag
(Einigungsvertrag) maßgeblich wurden,[8]
stellt eine andere Facette der Kontinuitätsproblematik in Deutschland
dar.
Die Frage nach der Kontinuität des deutschen Staatswesens
über das Jahr 1990 hinaus stößt dabei nicht allein auf die erwähnten
"dualistischen" Grundkonzepte, sondern stets auch auf die besondere bundesstaatliche
Komponente, die die Existenz der deutschen Staatlichkeit in der Mitte Europas
traditionell kennzeichnet
.[9]
Die Frage nach der Kontinuität des deutschen Staatswesens im Jahre 1993
zu stellen, also relativ kurz vor der Jahrhundertwende, bedeutet auf der
anderen Seite, sich freiwillig nicht nur in einen juristischen, sondern
auch in einen politischen, historischen, sozialwissenschaftlichen und ideologischen
Irrgarten zu begeben, der durch das ganze Jahrhundert führt, ohne daß
man genau wüßte, welches der kürzeste gedankliche Weg zur Lösung vom
3. Oktober 1990 hätte sein können. Denn an diesem Tage trat mit dem Inkrafttreten
des Zwei-Plus-Vier-Vertrages sowie des Einigungsvertrages eine Staats-
und völkerrechtliche Situation ein, mit der einige Jahre zuvor nicht mehr
gerechnet worden war.
Der Oktober 1990 brachte mit dem Inkrafttreten der genannten
Verträge einen gewissen Abschluß der staatlichen Entwicklung in ganz
unerwarteter Weise. Noch 1988 hatte der frühere bayerische Kultusminister
Hans
Maier
in einer Festrede formuliert:
"Ein Staat muß nicht nur Extremzustände bewältigen, sondern
auch die sanfte Monotonie des Normalen."[10]
Wohl keine andere Formulierung bringt die juristische Stimmungslage
vor der Wende in Westdeutschland besser zum Ausdruck als dieses Zitat.
Doch als die Rede Ende 1989 gedruckt vorlag, war jene sanfte
Monotonie längst gewichen. Statt dessen war in der früheren DDR die später
so genannte "stille Revolution" im Gange, die Politiker und Juristen der
alten Bundesrepublik plötzlich dazu zwang, die längst verdrängten Formulierungen
der eigenen Verfassung wieder zu betrachten, in denen das Ziel der Wiedervereinigung
seit 1949 klar formuliert war. Es war die Stunde jedoch nicht nur der Besinnung
auf das Grundgesetz, sondern viel stärker des Aufeinanderprallens internationaler
mit "binnenjuristischen" Konstellationen. Die ohnehin vorliegende, verfassungsrechtlich
jedoch wenig bewußte internationalrechtliche Einbindung des Grundgesetzes
trat mit kaum geahnter Wucht auf den Plan und zwang zu verfassungsrechtlichen
Reaktionen.
Diese zeigten sich einerseits in der Besinnung auf das seit
langem gegebene verfassungsrechtliche Potential, andererseits in der Umsetzung
verschiedener Verfassungsänderungen, die durch völkerrechtliche und politische
Vorgegebenheiten unausweichlich wurden. Sich auf Sinn und Formulierungen
des Grundgesetzes zu konzentrieren, fiel schwer, da die politische Diskussion
längst darangegangen war, das Grundgesetz umzuinterpretieren. Denn in
der geltenden Präambel war das Ziel der Bewahrung der staatlichen Einheit
neben dem Ziel eines vereinten Europas genannt worden, aber es fehlte nicht
an Versuchen, die Rangfolge der Ziele zugunsten Europas umzukehren und
letztlich die (west-)europäische Integration notfalls an die Stelle der
staatlichen Einheit zu setzen.[11]
Nunmehr trat die staatliche Einheit wieder in den Vordergrund,
ohne daß Parteien, Gewerkschaften, Kirchen oder Massenmedien der alten
Bundesrepublik von sich sagen konnten, sie hätten an dieser Entwicklung
maßgeblichen Anteil gehabt
.[12]
Als die neue politische Situation in Deutschland jedoch bewußt wurde,
konnte der Weg zur staatlichen Einheit zügig beschritten werden, zum Teil
mit jenem juristischen Instrumentarium, das in der Verfassung seit langem
bereitlag
.[13]
Die Frage der Tauglichkeit einer Verfassung zur Bewirkung der
staatlichen Einheit im Rahmen völkerrechtlicher und politischer Gegebenheiten
stellt jedoch nur einen Einzelaspekt aus einem ganzen Fragenbündel dar,
ebenso die Frage der konkreten Herbeiführung der staatlichen Einheit durch
unterschiedliche juristische und politische Akte auf verschiedenen Ebenen
nationaler wie internationaler Art. Das Problem der Staatskontinuität
begleitete den deutschen Staat durch das ganze Jahrhundert. Es erfaßte
nicht nur die juristischen Abgründe des Staatsuntergangs in den Jahren
1945, 1949 oder sogar schon 1918, sondern auch die Frage des Fortbestehens
einzelner Rechtsverhältnisse, etwa des öffentlichen Dienstes, die Problematik
der Strafverfolgung und der veränderten Dimension des Rechtsstaatsprinzips
insgesamt.[14]
Fragen des Überdauerns langer Schwebezustände standen ebenso zur Debatte
wie die staatsrechtliche Reaktion auf Revolution, Umsturz und militärischen
Zusammenbruch
.[15]
Zu den Fragen der Staatskontinuität gesellte sich unversehens die Problematik
der "Verfassungskontinuität".[16]
Auf die Gesamtheit der auftauchenden Fragen soll im folgenden keine Antwort
gegeben werden, weil sie nicht gelingen könnte angesichts der Fülle und
Gegensätzlichkeit der Probleme. Statt dessen sollen lediglich einige Fragen
herausgegriffen werden, die für die Kontinuität des deutschen Staates
und dem Anteil internationalen, insbesondere Völkerrechts hieran besonders
aufschlußreich erscheinen.
II. Kontinuitätsprobleme vor 1945
Im Rückblick erscheint der gravierendste staatliche Kontinuitätsbruch
am ehesten mit dem Jahre 1945 zusammenzuhängen. Obwohl auch dieses Jahr
noch zur ersten Jahrhunderthälfte gehört, zählt es als Beginn der Nachkriegsepoche
gleichwohl der Sache nach zur "Zweiten" Jahrhunderthälfte, die mit dem
Ende des Zweiten Weltkrieges auch eine neue Periode des Völkerrechts einleitete.
Die Probleme der Zeit vor 1945 scheinen im Verhältnis zu späteren Perioden
wenig gravierend, doch ist dies ein Trugschluß. Die dogmatischen Positionen
zur Kontinuitätsfrage waren bereits in einer früheren Phase der ersten
Jahrhunderthälfte bezogen worden und wirkten bis in die Gegenwart fort.
1. Die Revolution von 1918
Das gilt zunächst für den, wie es scheint, glatten Übergang
von der Monarchie zur Republik im Jahre 1918. Bei näherem Hinsehen hatte
das deutsche Staatsrecht aber erhebliche Schwierigkeiten. Sie konnten umgangen
werden durch eine sich schnell herausbildende herrschende Meinung, die
vor allem von Hugo Preuß
und Gerhard Anschütz
angeführt
wurde und die den Übergang zur Republik als bloße Verfassungsänderung
wertete, die den Untergang des Staates keineswegs bewirken konnte
.[17]
Eine Mindermeinung vertrat hingegen durchaus die These vom Staatsuntergang,
besonders im Hinblick auf den föderalen Charakter des Kaiserreiches als
Fürstenbund. Da die neue Republik dieses Merkmal nicht mehr ausweise,
sei die Weimarer Republik notwendig ein neuer Staat
.[18]
Die überwiegende Meinung folgte dieser Auffassung nicht. Sie
argumentierte in aus heutiger Sicht durchaus charakteristischer Weise zum
Teil mit völkerrechtlichen Überlegungen, etwa mit dem Satz, daß die
Änderung der Staatsform nicht zum Untergang des Staates führen müsse
.[19]
Der wissenschaftliche Meinungsstreit gab jedoch keineswegs den Ausschlag,
sondern die im Verfassungsausschuß und in der Nationalversammlung selbst
getroffene Entscheidung zugunsten des identischen Fortbestandes des Reiches.[20]
Zudem mußte es ohnehin fraglich erscheinen, ob eine andere Entscheidung
in der damaligen Situation überhaupt möglich gewesen wäre. Die internationalrechtliche
Lage hätte dem Deutschen Reich wohl keineswegs juristisch erlaubt, so
aus seiner eigenen Existenz herauszutreten, daß die völkervertragsrechtlichen
Schuldnerpositionen, die etwa im Versailler Vertrag festgelegt waren, berührt
worden wären.[21]
Insofern hatte die Auseinandersetzung um den Untergang des Reichs mit der
Monarchie mehr akademischen Charakter.
2. Das zweistufige Modell der Normativisten und seine Fortwirkung
Das galt auch für den beachtlichen Beitrag der Normativisten,
die sich in erster Linie mit der Revolution auseinandersetzten. Sie war
es, die die Fülle staatstheoretischer Arbeiten zu dieser Thematik provozierte
und ein zweistufiges Modell zur Oberwindung von Kontinuitätsbrüchen entstehen
ließ, dem zahlreiche Autoren mehr oder weniger vergleichbar folgten.[22]
Auf staatsrechtlicher Ebene bestand zwischen einer Verfassung und der durch
die Revolution geschaffenen neuen Rechtsordnung keine rechtliche Verbindung,
so daß, um mit Hans Kelsen
zu sprechen, "zwei voneinander gänzlich
verschiedene Staaten anzunehmen waren".[23]
Erst die Völkerrechtsordnung vermochte über den Abgrund der Revolution
die Brücke des Rechts zu schlagen,[24]
insbesondere mit dem seit langem im Völkerrecht geltendem Satz, daß territoriale
Veränderungen bei im wesentlichen gleichbleibendem personellen Substrat,
der Nation, keinen Wechsel der Völkerrechtspersönlichkeit bewirken müssen.[25]
Die Zweistufigkeit dieser Argumentation der Zwanziger und Dreißiger
Jahre hielt in mehr oder weniger verdeckter Form bis in die Gegenwart hinein
an. Zum Teil entspricht es einer verfassungsrechtlichen Einstellung, die
staatliche Kontinuität mit einem inhaltlich abgelehnten Regime zu leugnen
und verfassungsrechtlich auf diese Weise alle Brücken zu einer gehaßten
staatlichen Vergangenheit hinter sich abzureißen. Manche Vertreter der
Annahme des Staatsuntergangs im Jahre 1945 versuchten bisweilen auf diese
Weise, jegliche inhaltliche Übereinstimmung mit früheren Staatsperioden
von vornherein abzustreifen. Daß sie selbst einen erheblichen Irrtum begingen,
wurde nicht immer bewußt. Die Entscheidung im Sinne des Fortbestandes
eines Staates bezieht sich völkerrechtlich vielmehr stets nur auf die
abstrakte Völkerrechtssubjektivität, auf die internationale Staatspersönlichkeit,[26]
aber nicht auf die Gemeinsamkeit inhaltlicher Art oder auf die Bezeichnung
des Staates. Insofern gibt es keine Übereinstimmung zwischen Staats- und
Verfassungsidentität. Die Animosität staatsrechtlichen Selbstverständnisses
gegen völkerrechtliche Kontinuitätsannahmen hat ihre Wurzel in der strikten
Identifizierung des Staates mit seiner Verfassungsordnung, und auf diese
Weise lebt das zweistufige Denken der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in
unterschiedlichen Variationen bis heute fort.
3. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
Sieht man von dem akademischen Streit über die rechtliche
Bedeutung der Revolution von 1918 ab, so bot die Rechtsprechung des Reichsgerichts
ein Beispiel unkomplizierter juristischer Bewältigung. Bereits 1919 und
1920 hatte es das Reichsgericht mehrfach mit Fragen der juristischen Beurteilung
der Revolution von 1918 zu tun. In bezug auf den Fortbestand des Staates
stellte das Gericht auf die siegreiche Revolution und die Fakten-Lage ab:
"Mit der Beseitigung der alten Gewalt tritt die sich durchsetzende neue
Gewalt an deren Stelle."[27]
Ebensowenig wurde die Frage der Fortgeltung des früheren Rechts problematisiert.[28]
4. Die Umgestaltung der Weimarer Reichsverfassung seit 1933
Während die Revolution von 1919 und der Obergang von der Monarchie
zur Weimarer Republik zahlreiche Ansätze zu wissenschaftlich akribisch
vertiefter Diskussion bietet, bleibt das Jahr 1933 im Schatten der Kontinuitätsproblematik.
Denn die Weimarer Reichsverfassung wurde nach 1933 zwar inhaltlich völlig
umgestaltet, doch der verfassungsrechtliche Rahmen blieb erhalten. Auch
das betonte, wenn auch letztlich nicht durchgehaltene Beharren auf Legalität[29]
trug dazu bei, die Kontinuitätsfrage in bezug auf den Staat als solchen
nicht erst aufkommen zu lassen. Es war daher nur konsequent, daß die Frage
der völkerrechtlichen Kontinuität nicht zum Thema wurde.
Das ist deshalb verwunderlich, weil die Nationalsozialisten
ganz bewußt von einer "nationalsozialistischen Revolution" sprachen und
einen "neuen" nationalsozialistischen Führerstaat proklamiert hatten.[30]
Dennoch wurde die Frage des Staatsuntergangs auch international nicht ernsthaft
gestellt. Wenn der NS-Staat materiell eine von der Weimarer Reichsverfassung
der Zeit vor 1933 grundlegend zu unterscheidende Verfassung besaß, so
hätte sich die Frage nach einer neuen Staatsqualität durchaus stellen
müssen und die Frage der völkerrechtlichen Identität des Staates hätte
daher nahegelegen. So weit ging die Staatsrechtswissenschaft nach 1945
hingegen nicht. Sie konzentrierte sich vielmehr auf den Kontinuitätsbruch
von 1945 und war damit hinreichend ausgelastet.
III. Vom Kriegsende zur "Stillen Revolution"
1. Der staatliche Zusammenbruch von 1945 und die Rolle des Bundesverfassungsgerichts
Betrachtet man den äußeren Zustand, in dem sich das Völkerrechtssubjekt
Deutschland 1945 befand, so kann man dem Bundesverfassungsgericht nur zustimmen,
wenn es den staatlichen Zusammenbruch anschaulich schilderte: er habe alle
Merkmale einer Katastrophe getragen, die in der neueren Geschichte ohne
Beispiel sei.[31]
Dennoch folgten weder das Gericht noch die westdeutsche Staatsrechtslehre
insgesamt der Untergangsthese. Das Bundesverfassungsgericht hatte kurze
Zeit geschwankt, ob es der Auffassung von Kelsen und Nawiasky
folgen sollte,[32]
doch hatte schließlich die Annahme des Nicht-Untergangs obsiegt. Diese
Linie wurde auch in bezug auf das Jahr 1949 verfolgt, wobei die völkerrechtliche
Konstellation letztlich den Ausschlag gab. Zu erinnern ist an die Orientierung
des Potsdamer Abkommens an "Germany", an die Berliner Erklärung vom 5.
Juni 1945 mit ihrem Verzicht auf Annexionen und mit der Übernahme der
obersten Regierungsgewalt in Deutschland.[33]
Die Vier-Mächte-Verantwortung, die
1971 bei der Erklärung über Berlin nochmals deutlich wurde,
erwies sich als äußerst wichtige Stütze des Überdauerns des deutschen
Gesamtstaates,[34]
und die Belebung der Vier-Mächte-Konstellation im Jahre 1990 dokumentierte
die oft verdeckte rechtliche Interventionsgemeinschaft der Alliierten.[35]
Für die Annahme des Nicht-Untergangs ausschlaggebend war letztlich
aber nicht die eine oder andere vorfindliche dogmatisch-wissenschaftliche
Position, sondern der juristische und politische Einsatz für die These
des Nicht-Untergangs. Insofern erwies sich die auch international beibehaltene
Position in den folgenden Jahrzehnten als entscheidend.[36]
Die Frage des Staatsuntergangs blieb, bezogen auf die Jahre 1945 und 1949,
umstritten. Dieser Umstand belegt, daß es für komplexe Zwischensituationen
keine juristischen Patentlösungen gibt und die Bezugnahme auf eine tatsächlich
oder angeblich vorfindliche "Logik" des wissenschaftlichen Befundes letztlich
unerheblich bleibt. Maßgeblich wurde die Staatenpraxis, die im wesentlichen
durch die beharrliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützt
wurde, zuletzt noch durch den Teso-Beschluß des Jahres 1987.[37]
Nicht die Faktizität setzte sich durch, sondern ihre über längere Zeit
durchgehaltene rechtliche Bewertung im Kontext einer spezifischen internationalen
Konstellation. Das Bundesverfassungsgericht hatte überdies zutreffend
erkannt, daß in umstrittenen internationalen Schwebezuständen, wie in
bezug auf die Deutschlandfrage, Verfassung und staatliche Politik einen
erheblichen Anteil an der völkerrechtlichen Wahrung der Kontinuität des
Staates hatten.[38]
2. Vier-Mächte-Verantwortung, Selbstbestimmungsrecht der Völker und die
Staatenpraxis
Zu der Vier-Mächte-Verantwortung trat im Laufe der Zeit eine
gesonderte Drei-Mächte-Verantwortung, die im Deutschland-Vertrag von 1952/55
eigens dokumentiert wurde und die Deutsche Frage mit offen hielt,[39]
auch wenn die drei Westmächte entgegen dem Wortlaut des Art. 7 keine hinreichende
Aktivität in Richtung auf eine mögliche Wiedervereinigung zeigten.[40]
Als besonders wirksam erwies sich demgegenüber das lange Zeit als bloß
moralisch-politisch qualifizierte Selbstbestimmungsrecht der Völker, das
seit den 60er Jahren im Rahmen der Vereinten Nationen, später allgemein
als Rechtssatz anerkannt wurde.[41]
Wie immer der Rechtscharakter des Selbstbestimmungsrechtes der Völker
verstanden wurde: es erwies sich als im Ergebnis wirksamstes Mittel, um
den Vorgang der Dismembration mit der Folge der Abspaltung der DDR zu relativieren
bzw. abzuschwächen.[42]
Seit dem Grundlagenvertrag von 1972 gewann die DDR zwar in
dem Maße Völkerrechtssubjektivität, in dem sie von Drittstaaten anerkannt
wurde, im innerdeutschen Verhältnis wurde dieser Prozeß jedoch nicht
durchgesetzt, nicht zuletzt wegen der harten Beschränkungen, die das Bundesverfassungsgericht
im Jahre 1973 der Exekutive auferlegt hatte. Das galt etwa in bezug auf
eine eigenständige Staatsangehörigkeit der DDR-Bewohner.[43]
So blieb es nach außen hin bei einem merkwürdigen Zwischenzustand, der
im internationalen Bereich die Tendenz zur Zweistaatlichkeit in sich trug,
die verfassungsrechtlich jedoch nicht mitvollzogen wurde.[44]
IV. Kontinuitätswahrende Elemente der konkreten Staatlichkeit
Die Frage nach den kontinuitätswahrenden Elementen stellt
sich erst, wenn Unsicherheiten über die Existenz des Staates in der Zeit
auftauchen. Die Frage nach dem "Kontinuum" des (geteilten) Staates war
seit Kriegsende in Deutschland naheliegenderweise an der Tagesordnung[45]
und wurde in dem Maße weniger dringlich gestellt, in dem sich die politische
Situation über längere Zeit, etwa seit der Mitte der siebziger Jahre,
zu stabilisieren schien. Das nachlassende Interesse am Schicksal des betreffenden
Staatswesens änderte jedoch nichts an der Notwendigkeit der entsprechenden
Grundfragen selbst.
Auch die — scheinbare — Verfestigung völkerrechtlicher
Grundannahmen über eine sich verstärkende Zweistaatlichkeit in Deutschland
hatte im wesentlichen einen Verdrängungseffekt, da vorhandene rechtliche
Grundprobleme nicht gelöst waren. Fragt man vor dem Hintergrund der Erfahrungen
der Jahre 1989/90 nach den maßgeblichen Elementen der Staatskontinuität,
so zeigt sich ein einerseits ernüchternder, andererseits ein erstaunlich
komplexer Befund.
1. Der Kontinuitätsbezug
Einen wesentlichen Teil des nicht zu leugnenden dogmatischen
Dissenses zwischen Staats- und Völkerrecht, zwischen Juristen und Vertretern
anderer wissenschaftlicher Disziplinen, etwa einzelnen Sozialwissenschaften,
bewirkt das Unvermögen, den Gegenstand der jeweils eigenen Kontinuitätsbehauptung
deutlich einzugrenzen. So liegt etwa auf der Hand, daß "Staatskontinuität"
im Völkerrecht und im Staatsrecht eine sehr unterschiedliche Bedeutung
haben kann. Das Völkerrecht fragt nach dem identischen Fortbestand des
betreffenden Staates als Völkerrechtssubjekt.[46]
Auf diese Weise wird die Staatensukzession ausgeschlossen, wenn auch notwendig
auf einer systemgerecht formalen Ebene.[47]
Sie steht in einem schon traditionellen Gegensatz zur Ermittlung
der Staatskontinuität nach inhaltlich-verfassungsrechtlichen Kriterien.
Wird die Verfassung zum ausschließlichen Charakteristikum des Staates
bestimmt, so zerfällt der Staat in eine Abfolge staatsbestimmender Verfassungslagen,
deren Ende konsequent das Ende der jeweils typisierten Staatlichkeit bewirken
muß. Daß diese Konsequenz in der Praxis kaum gezogen wird, ist durch
die Selbsteinschätzung der jeweiligen Verfassung zu erklären, die sich
nicht außerhalb der internationalen Verantwortung und Vertragspflichten
stellen kann.[48]
Einen wiederum abweichenden Bezug erhält die Staatskontinuität,
wenn sie sich an einzelnen Rechtsverhältnissen orientiert. Sie können
"kontinuierlich" fortbestehen und einen Staatsuntergang oder die Sezession
eines Staatsteiles unverändert überdauern. Beispiele liefert der historische
Vorgang der Entkolonialisierung, der in bezug auf einzelne Rechtsverhältnisse
erstaunlich wenige Rechts-"Brüche" verzeichnet.[49]
2. Verfassungskontinuität
Die Verfassungskontinuität kann aufgrund ihrer international
begrenzten Auswirkung nur entsprechend beschränkte rechtliche Aussagen
vermitteln. Steht etwa fest, daß die deutsche Verfassung des Jahres 1934
nicht mehr identisch mit der des Jahres 1932 war, so folgen daraus völkerrechtliche
Konsequenzen nur, sofern der inhaltliche Verfassungsbruch international
umgesetzt wurde, was ersichtlich nicht geschah. An der völkerrechtlichen
Identität des deutschen Staatswesens wurde nach 1933 im Gegenteil keineswegs
gerüttelt, mochte der Gegensatz zwischen der Weimarer Reichsverfassung
und der nach 1933 errichteten Verfassungslage auch offenkundig gewesen
sein.
Der Bruch der Verfassungskontinuität kann in der Praxis durchaus
mit dem Ende der völkerrechtlichen Identität des Staates zusammenfallen.
Wegen der internationalen Verflechtung der Staaten und der damit verbundenen
Rückwirkung auf die Staatengemeinschaft wird der Verfassungswechsel in
aller Regel jedoch keine völkerrechtlichen Auswirkungen haben. Die völkergewohnheitsrechtlichen
Regeln sorgen für ein Höchstmaß an Kontinuität des Staates im internationalen
Bereich, mögen die innerstaatlichen Umwälzungen auch erheblich sein.[50]
Das Jahr 1990 gab in Deutschland keinen Anlaß, eine mögliche
Kollision von verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Staatskontinuität
näher zu erörtern. Lediglich im Rahmen der Diskussion des verfassungsrechtlichen
Weges zur Einigung Deutschlands hätte auch die Frage der Fortsetzung der
staatlichen Identität im Bereich des Völkerrechts aktuell werden können,
etwa im Zusammenhang mit einem Konföderations-Modell.[51]
Der über Art. 23 a. F. gewählte Weg[52]
schnitt im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag jedoch entsprechende Fragestellungen
ab, beendete die vom Grundgesetz ohnehin nicht akzeptierte Staatlichkeit
der DDR und sorgte in Verbindung mit den Übergangslösungen des Einigungsvertrages
für den ununterbrochenen Fortbestand des Grundgesetzes. Die durch den
Einigungsvertrag im Gefolge des Zwei-plus-Vier-Vertrages bewirkten Verfassungsänderungen
führten ihrerseits nicht zu einer Erschütterung der Verfassungsidentität.[53]
Auf diese Weise wird deutlich, daß das Jahr 1990 entsprechend
der im Grundgesetz angelegten Einigungswege eine bemerkenswerte Anpassung
an grundlegend gewandelte völkerrechtliche Ausgangslagen erlebte. Sie
wurden gestützt durch eine entsprechende Interpretation der Verfassung
vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zum Teil
gegen erheblichen Widerstand der Literatur. Das Gericht hatte die verfassungsrechtliche
"Offenheit" für spezifische völkerrechtliche Einwirkungen gesichert.[54]
Durch diese Entwicklung wurde dokumentiert, daß bei aller funktionalen
Nützlichkeit der realitätsorientierten Verfassungsinterpretation Grundaussagen
der Verfassung nicht vorschnell und ohne gründliche Analyse internationaler
Ausgangspunkte aufzugeben sind. Ganz konsequent leiten sich aus der Wiedervereinigung
Deutschlands Folgerungen auch für das Grundverständnis der Verfassung
und ihrer tragenden Aussagen ab.
Eine oft kaum zur Kenntnis genommene kontinuitätswahrende
Funktion kommt der Verfassung auch insofern zu, als sie Vorgänge der Staatensukzession
maßgeblich beeinflussen kann. Obwohl die Verfassung im Rahmen der völkerrechtlichen
Rechtsquellenlehre keine generell beachtenswerte Rolle spielt,[55]
erfüllen verfassungsrechtlich vorfindliche einzelstaatliche Impulse wertvolle
Stützfunktionen, wenn es darum geht, völkerrechtliche Übergangszeiten,
etwa im Zeichen möglicher sukzessionserheblicher Perioden, rechtlich auszugestalten.
Vor allem O'Connell hat diese Funktion des innerstaatlichen Rechts
herausgehoben.[56]
Sie wurde durch den Vorgang der Einigung Deutschlands bestätigt.
Dabei zeigte sich die Problematik der Verfassungskontinuität
auf durchaus unterschiedlicher Weise. Einerseits im Sinne eines ununterbrochenen,
in Teilen ergänzten Bestandes des Grundgesetzes über die spezifische
Regelung der Eingliederung der neuen Bundesländer, andererseits i. S.
der erwähnten Stützfunktion im Blick auf die Erhaltung bzw. Wiederherstellung
des Staatsganzen. Eine davon zu unterscheidende Frage betrifft die künftige
Identität der Verfassung im Blick auf die Gesamtheit der durch den Einigungsvertrag
aufgegebenen und dadurch ausgelösten künftigen Verfassungsänderungen.[57]
3. Völkerrechtliche Elemente der Kontinuitätswahrung
a) Der Fortbestand der Nation
Die inzwischen verstrichene Zeit erleichtert eine Antwort auf
die Frage, welche der in der Literatur bisher erörterten völkerrechtlich
relevanten Elemente letztlich den entscheidenden kontinuitätswahrenden
Effekt herbeiführten. Versucht man, einzelne in der völkerrechtlichen
Kontinuitätsdiskussion genannte Kriterien im Blick auf 1990 zu sichten,
so ist im internationalen Bereich das in einem konkreten historischen Staatsrahmen
fortbestehende Gesamtvolk als wirkungsvollstes Element zu nennen. Die Einheit
der Nation und der von ihr zum Ausdruck gebrachte politische Wille erwiesen
sich als erheblich wirkungskräftiger als staatsorganisatorisch verfestigte
Zwischenkonstruktionen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Vorhandensein
des — zeitweilig geteilten — Volkes selbst und der konkreten Ausübung
des Selbstbestimmungsrechts der Völker.[58]
Vieles spricht dafür, daß zunächst allein der Fortbestand der international
nach wie vor als einheitlich empfundenen Nation maßgeblich für die gefundene
Lösung wurde, während die Art der konkreten Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes
erst in zweiter Linie Bedeutung erlangte.
Bemerkenswert an diesem Befund ist das unerwartete Zurücktreten
staatsorganisatorischer Zwischenlösungen sowie auch mancher akademisch-intellektueller
Momente, die in den Hintergrund traten. Die im Sinne eines konkreten Verfassungsbewußtseins
eher vernachlässigte Nation überstrahlte an internationaler Auswirkung
sonstige staatliche Integrationselemente, mögen sich durch die jahrzehntelange
Teilung auch erhebliche innerstaatliche Probleme ergeben haben. Völkerrechtlich
erzielte die vor allem von Verdross vertretene Linie der Maßgeblichkeit
der Fortexistenz des Volkes[59]durch
die deutsche Wiedervereinigung eine unerwartete Bestätigung.
b) Selbstbestimmungsrecht der Völker contra Vier-Mächte-Verantwortung?
Ob neben dem Fortbestand der gesamten Nation auch das Selbstbestimmungsrecht
der Völker als kontinuitätswahrendes Element genannt werden kann, ist
im Blick auf die konkreten Vorgänge des Jahres 1989/90 nur mit gewissen
Einschränkungen zu beantworten. Denn es steht lediglich fest, daß das
Selbstbestimmungsrecht der Völker für das Offenhalten der deutschen Frage
von besonderer Bedeutung war und vor dem Hintergrund des normativen Aufstiegs
im Rahmen der Vereinten Nationen und schließlich in der gesamten Völkerrechtsordnung[60]
auf Dauer eine gewisse Sprengkraft entfalten mußte. Ungewißheit besteht
jedoch in bezug auf die konkrete Ausübung des Selbstbestimmungsrechts
in Deutschland. Es kam entgegen denkbaren Modellen nicht im Sinne einer
spontan-eruptiven politischen Gestaltung zum Ausdruck, sondern im Rahmen
einer prozeßhaften Verwirklichung in sechs Stufen von der "stillen Revolution"
im Herbst 1989 über die Volkskammerwahl vom 18. März 1990, den ersten
Staatsvertrag vom 18. Mai, den Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom
12. September bis zum Inkrafttreten des Einigungsvertrages vom l. August
1990 am 3. Oktober 1990. Den Abschluß dieses Prozesses bildete die gesamtdeutsche
Bundestagswahl am l. Dezember 1990.[61]
Angesichts des in der früheren DDR immer drängender werdenden
Rufes nach Ablösung des herrschenden Regimes, verbunden mit dem am 18.
März 1990 in den Volkskammerwahlen dokumentierten Ende des inzwischen
eingerichteten Zwischenregimes, hatte die ohnehin beispiellos lange Periode
der Ausübung der Vier-Mächte-Rechte[62]
an innerer politischer Kraft verloren. Hinzu kam der sich beschleunigende
Zusammenbruch des sowjetischen Machtsystems. Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen
ab Mai 1990 konnten jene besondere Art von Hegemonie[63]
beenden, unter die Deutschland in seinen westlichen und östlichen Prägungen
seit über vierzig Jahren gestellt war.
Insofern kam dem Gedanken der Selbstbestimmung ein erheblicher
Anteil am Niedergang auch des Vier-Mächte-Systems zu. Entscheidend wurde
jedoch nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker als solches, sondern
die im Zwei-plus-Vier-Vertrag gefundene Einigung der Vier-Mächte untereinander.
Die Präambel des Zwei-plus-Vier-Vertrages enthält zwar einen
Hinweis auf die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker,[64]
legt im übrigen das Gewicht auf die Einbindung Deutschlands in eine europäische
Politische Union sowie die Betonung internationaler Organisationen und
Bündnisse.[65]
Auf diese Weise wird deutlich, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker
nur eine Rolle ergänzender Art spielte, während bei der konkreten Regelung
der Deutschlandfrage eher traditionelle Elemente der Friedensgestaltung
zum Zuge kamen.
Traditionell in diesem Sinne ist zunächst die Dominanz von
Grenzbestimmungen und militärischen Grundentscheidungen.[66]
Hinzu tritt mit der Wiedereinräumung der vollen Souveränität ebenfalls
ein historisches, wenn auch gewandeltes Merkmal der Staatlichkeit im internationalen
Bereich.[67]
Dabei verdient der Umstand Beachtung, daß zwar die Vier-Mächte-Rechte
durch den Zwei-Plus-Vertrag aufgehoben wurden, nicht aber alle Drei-Mächte-Rechte.[68]
Bemerkenswert ist auch die zeitliche Abfolge im Verhältnis
der Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag und zum Abschluß des Einigungsvertrages.
Die Gegenstände des Einigungsvertrages waren mit dem Inhalt des Zwei-plus-Vier-Vertrages
abgestimmt, und insofern zeigt sich in diesem Punkte in ganz besonderer
Weise die Verschränkung zwischen verfassungsrechtlich-einzelstaatlicher
und völkerrechtlicher Ebene. Dies wird besonders deutlich am Beispiel
der mit dem Einigungsvertrag bewirkten Verfassungsänderungen, die ihrerseits
dem Zwei-plus-Vier-Vertrag entsprachen.[69]
Der Einigungsvertrag folgte dem Inhalt des Zwei-plus-Vier-Vertrages vor
allem insofern, als die Änderung der Präambel erfolgte, die Streichung
des Art. 23 und die umstrittene Perpetuierung des Art. 146 in geänderter
Fassung verankert wurde. Seitdem mußte das Problem der Verfassungsänderung
durch völkerrechtlichen Vertrag[70]
und der Umfang der Mitwirkung des Parlaments bei Grundentscheidungen des
Staates zur Debatte stehen.[71]
Ebenso die Frage der Grenzen des Selbstbestimmungsrechts der Völker angesichts
deutlich errichteter Schranken im internationalen Bereich. Insofern wird
man die ausdrückliche Erwähnung der erwünschten Verfassungsänderungen
in Art. l des Zwei-plus-Vier-Vertrages in gewisser Weise als Ungeschicklichkeit
bezeichnen können.[72]
Denn auch bei einer Nichterwähnung notwendiger Verfassungsänderungen
wäre die Annahme unbegrenzter Freiheit bei der staatlichen Einigung eine
Illusion gewesen. Ganz selbstverständlich bestand ein internationaler
Druck bezüglich der konkreten Gestaltung der deutschen Einheit, schon
wegen der zentralen Lage Deutschlands in Europa[73]
und der naheliegenden Befürchtungen der unmittelbaren Nachbarn.
Der gewählte formale Weg der territorialen Begrenzung lenkt
hingegen ungewollt den Blick auf die praktisch erfolgreiche Beschränkung
des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die frühzeitige "Entfernung"
der seßhaften Bevölkerung aus den östlichen Teilen Deutschlands durch
Deportation und Vertreibung.[74]
Man wird bei aller Deutungsmöglichkeit der Vorgänge des Jahres
1990 jedenfalls in Bezug auf die Grenzregelung im Osten nicht den Eindruck
erwecken können, die im Grenzvertrag mit Polen gefundene Lösung entspreche
dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, sofern man dieses in seinem ursprünglichen
Territorialbezug sieht.[75]
Richtiger wäre es, darauf zu verweisen, daß die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes
in West- und Mitteldeutschland und die Wiedervereinigung zu einem Gesamtstaat
sich nur durch den Verzicht auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes
in seinem ursprünglichen Territorialbezug und die "Bestätigung" der faktischen
Situation im Osten Deutschlands ermöglichen ließen.[76]
c) Kontinuitätswahrung durch internationale Einwirkung
Die ausdrückliche Verknüpfung von Verfassung und Einigungsvertrag
mit den im Zwei-plus-Vier-Vertrag zum Ausdruck gekommenen internationalen
Sachzwängen ist potentiell geeignet, die Diskussion von der bisherigen
Wertschätzung des Rechts auf die Pragmatik des Politischen abzudrängen.
Doch wäre dies eine allzu einseitige Sicht der Gesamtproblematik. Denn
die verfassungsrechtliche Situation des 3. Oktober 1990 wird nicht allein
durch die Besonderheiten des Einigungsvertrages gekennzeichnet, sondern
durch die Eigenart der Verschränkung von internationalen und nationalen
Maßnahmen auf dem Wege zu der letztlich erzielten Lösung. Die unmittelbaren
Verhandlungen zum Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der damaligen DDR kennzeichnen ebenso wie die am Grundgesetz vorgenommenen
Änderungen nur einen sehr beschränkten Bereich des maßgeblichen Gesamtkomplexes.
Die wesentlichen Entscheidungen fielen vielmehr parallel auf verschiedenen
internationalen Ebenen, neben den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen auch in
bezug auf EG und KSZE.[77]
Auf diese Weise wird das Ausmaß der Abhängigkeit verfassungsrechtlicher
Lagen von internationalen Gestaltungen bewußter als zuvor.
Die Kontinuitätswahrung wurde, wenn von den bereits erwähnten
Elementen abgesehen wird, ermöglicht durch den geschilderten Prozeß der
Verzahnung nationaler mit internationalen Entscheidungen. Auf diese Weise
wurde zugleich der mögliche Gegensatz zwischen Selbstbestimmungsrecht
und Vier-Mächte-System überbrückt und in eine neue internationalrechtliche
Dimension gehoben. Dabei erwies sich, wie schon 1955, als die Bundesrepublik
Deutschland eine Teil-Souveränität wiedererlangte, die Einbettung in
ein spezifisches europäisches System, die angestrebte Politische Union,
als besonders geeignet, den staatlichen und verfassungsrechtlichen "Normal-Zustand"
wieder zu erreichen. Dieser zeigt sich zwar insgesamt in seiner "Normalität"
selbst gewandelt, doch betrifft dies gleichzeitig eine Vielzahl anderer
europäischer Staaten, mit denen man die neue staatliche Normalität nunmehr
teilt.
4. Staatskontinuität durch Internationalisierung?
Die konkreten Erfahrungen mit der Wiederherstellung der staatlichen
Einheit Deutschlands im Jahre 1990 werfen nicht zuletzt völkerrechtliche
Fragen auf, die über den konkreten Anlaß der Fragestellung weit hinausgehen.
Denn der Umfang der 1990 für erforderlich gehaltenen Einbettung Deutschlands
in das erwähnte "Geflecht internationaler Verträge" lenkt den Blick verstärkt
auf das zwischen 1945 und 1990 errichtete und beibehaltene System internationaler
Rechtsbeziehungen, aus denen sich Existenz und Offenheit der staatlichen
Entwicklung Deutschlands letztlich ergaben. Faktische Teilungen konnten
sich nicht nur wegen der Fortexistenz der Nation und des Erstarkens des
Selbstbestimmungsrechts der Völker schwer durchsetzen. Die Internationalisierung
des 1945 desorganisierten deutschen Staates trug selbst den Keim der Erhaltung
des historischen Staatsbildes in sich und verhinderte den rechtlichen Staatsuntergang.
Ein flüchtiger Blick auf die Vorgänge von 1990 mag den Eindruck
einer historisch durchaus üblichen friedensvertraglichen Regelung erwecken,
da auch diese meist durch die Beteiligung mehrerer Staaten gekennzeichnet
ist.[78]
Die lange Zeitspanne des Bestehens eines rechtlichen Schwebezustandes und
die Intensität des die alte Bundesrepublik und die frühere DDR gleichermaßen
erfassenden Rechtssystems schließen den Vergleich mit früheren historischen
Perioden jedoch aus. Wie intensiv die Staatlichkeit Deutschlands vor 1990
auf Normen des internationalen Rechts, insbesondere des Völkerrechts,
ruhte, symbolisiert eine noch 1990 vorgelegte, umfangreiche Sammlung des
"geltenden Besatzungsrechts".[79]
Auf diese Weise wird die wohl wirksamste Grundlage des deutschen Staates
in seiner jahrzehntelangen Krise freigelegt. Nicht nur die Existenz des
Vier-Mächte-Systems, sondern dessen rechtliche Fortentwicklung verhinderten
die Endgültigkeit[80]des
Staatsuntergangs, stützten Zwischen- und Teilregime und ermöglichten
mehr oder weniger bewußt die Wiederherstellung des an sich räumlich geteilten
Staates. Die Frage nach "extrakonstitutionellen Grundlagen" der deutschen
Rechtsordnung[81]
mußte naheliegen und erhielt einen vielfältigen Sinn.
Wenn im Jahre 1990 nunmehr ein neues "Geflecht internationaler
Verträge"[82]
die Einheit des Staates sicherte, so entsprach dies nur der Grundlage,
die bislang die Offenheit, gelegentlich auch Festigung der Rechtslage Deutschlands
bewirkt hatte. Staatliche Existenz scheint, zumindest im Falle Deutschlands,
in der auch rechtlich meßbaren internationalen Verankerung zu ruhen. Der
Umschlag von der bis 1990 oft unbewußt praktizierten Internationalität
des Staates über ein Besatzungsregime weit hinaus in eine neue Internationalität
spezifisch europäischer Ausrichtung trifft auf die Frage der veränderten
Grundlagen der Staatlichkeit, etwa im Zeichen fortentwickelter Supranationalität.
Das Problem der Staatskontinuität erhält auf diese Weise eine neue rechtliche
Dimension, die von den Grundlagen moderner Staatlichkeit ausgeht. Die Frage
der Verallgemeinerungsfähigkeit des deutschen Beispieles stellt sich allerdings
in gleichem Maße.
[1]
Vgl. nur Bernhardt, Verfassungsrecht und internationale Lagen, DÖV
1977, S. 457 ff.; Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der
internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff.; Zuleeg,
Der Standort des Verfassungsstaats im Geflecht der internationalen Beziehungen,
1977, S. 467 ff.
[2]
Vgl. vor allem die frühen Monographien von Vogel, Die Verfassungsentscheidung
des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, und
Rudolf,
Völkerrecht
und deutsches Recht, 1967.
[3]
Kritisch schon Fiedler, Auswärtige Gewalt und Verfassungsgewichtung,
Festschrift Schlochauer, 1981, S. 57 ff., S. 69.
[4]
Vgl.
Frowein, Die Rechtslage Deutschlands und der Status Berlins,
Handbuch des Verfassungsrechts, Bd. l, 1984, S. 28 ff., S. 39 f.; Ress,
Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, Handbuch des
Staatsrechts, hrsg. v. Isensee und Kirchhof, Bd. I, 1987,
S. 449 ff., Rdnr. 49; Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag,
1991, S. 4.
[5]
Dazu schon Fiedler, aaO. (Anm. 3), S. 69 ff.
[6]
Vgl. BVerfGE 3, S. 58 ff. (17. 12. 1953); 3, S. 288 ff. (26. 5. 1954);
6, S. 132 ff. (19.2.1957).
[7]
Vgl. die Ausführungen im "Soldatenurteil". BVerfGE 3, S. 288, S. 316 i.
V. m. 3, S. 58, S. 89; dazu Bachof, Beamte und Soldaten, DÖV 1954,
S. 225 ff. Zur späteren Rechtsprechungslinie des Gerichts vgl. BVerfGE
5, S. 85, S. 126; 6, S. 309; S. 363; 11, S. 150, S. 158; 18, S. 353, S.
354.
[8]
Vgl. Art. 20 EV, dazu BVerfGE 84, 133, 147.
[9]
Vgl.
Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 3 ff., S. 12 ff.;
Isensee,
Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, Handbuch des Staatsrechts,
hrsg. v. Isensee und Kirchhof, Bd. IV, 1990, Rdnr. 1-13 m.
w. Nw. Zu den östlichen Bundesländern speziell Mampel, Föderalismus
in Deutschland, in: Auf dem Weg zur Realisierung der Einheit Deutschlands,
hrsg. v. Fischer/Haendke-Hoppe-Arndt,
1992, S. 95 ff.
[10]
Dritte Gewalt und Grundgesetz — nach vierzig Jahren, NJW 1989, S. 3202
ff.; S. 3205.
[11]
Vgl.
Fiedler, Europäische Integration und deutschlandpolitische
Optionen — eine Alternative, in: Europäische Integration und deutsche
Frage, hrsg. v. Hacker
und
Mampel, 1989, S. 115 ff.; ders.,
Deutschland und Europa — über die Zunahme der geistigen Provinzialität
in der Deutschland-Diskussion, in: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland,
hrsg. v
. Blumenwitz
und Zieger, 1989, S. 79 ff.
[12]
Näher
Hacker, Deutsche Irrtümer, 1992, S. 179 ff.
[13]
Näher und zur Diskussion Stern, Der Staatsvertrag im völkerrechtlichen
und verfassungsrechtlichen Kontext, in Stern/ Schmidt-Bleibtreu
(Hrsg.),
Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. l, 1990, S. 26 ff.;
Isensee,
Verfassungsrechtliche Wege zur deutschen Einheit, ZParl 21 (1990), S. 309
ff.; Binne, Verfassungsrechtliche Überlegungen zu einem "Beitritt"
der DDR nach Art. 23 GG.
[14]
Vgl. die Abhandlungen von Starck, Berg
und Pieroth, VVDStRL
51 (1992), S. 9 ff., S. 46 ff., S. 91 ff.; aus der Rspr. vgl. z. B. BGH
JZ 1993, S. 199 ff.; aus der allgemeinen Diskussionen vgl. Fiedler,
Stillstand oder Fortentwicklung des Rechtsstaatsprinzips nach der Wiedervereinigung
Deutschlands, Festschrift für Jahr, 1993, S. 71 ff.
[15]
Vgl.
Fiedler, Zur rechtlichen Bewältigung von Revolutionen und
Umbrüchen in der staatlichen Entwicklung Deutschlands, Der Staat 31 (1992),
S. 436 ff.
[16]
Der vieldeutige Begriff wird etwa von Isensee aufgenommen. Staatseinheit
und Verfassungskontinuität, VVDStRL 49 (1990), S. 39 ff.
[17]
Ein guter Überblick über die wissenschaftliche Auseinandersetzung findet
sich bei Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 12. Aufl.
1930, S. l ff.
[18]
Vgl. insbes. W. Kahl,
Die drei Reiche, Festgabe für Liebmann, 1920,
S. 79 ff.; näher Anschütz, aaO. (Anm. 17), S. 9 ff.
[19]
Nachweise bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl.,
1984, § 390 ff.
[20]
Als Beleg für den Fortbestand des Reichs wurde auch der Wortlaut des Art.
178 Abs. 2 WRV gewertet, der von den in kraft bleibenden Gesetzen und Verordnungen
"des Reichs" sprach, dessen Untergang aber gerade nicht ausgesprochen hatte,
vgl. Anschütz, aaO. (Anm. 17), S. 658. Ohne Rücksicht auf die
juristische Bewertung der Revolution stellte Art. 178 Abs. l jedoch die
formelle Aufhebung der früheren Verfassung fest.
[21]
Daher formulierte Art. 178 Abs. 2 Satz 2 WRV ausdrücklich: "Die Bestimmungen
des am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichneten Friedensvertrages werden
durch die Verfassung nicht berührt."
[22]
Vgl. neben Kelsen vor allem Merkl, Das Problem der Rechtskontinuität
und die Forderung des einheitlichen Weltbildes, ZOR V (1926), S. 447 ff.,
S. 514 ff.; Sander, Das Faktum der Revolution und die Kontinuität
der Rechtsordnung, ZÖR I (1919/20), S. 132 ff.; Rauschenberger,
Die staatsrechtliche Bedeutung von Staatsstreich und Revolution, ZÖR II
(1921), S. 113 ff.
[23]Kelsen,
Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 1928,
2. Neudruck, 1981, S. 237.
[24]
Ebd., S. 239 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 128.
[25]
Näher
W. Fiedler,Das Kontinuitätsproblem im Völkerrecht, 1978,
S. 45 ff.
[26]
Vgl.
O'Connell, State Succession in Municipal Law and International
Law, Bd. I, 1967, S. 3.
[27]
RGZ 100, S. 25 ff., S. 27.
[28]
"Der Gedanke, es seien mit dem Zusammenbruch der alten Staatsverfassungen
ohne weiteres auch die auf ihnen beruhenden Gesetze und gesetzlichen Einrichtungen
hinfällig geworden ist abzulehnen" (RGSt 53, 65 ff., 66).
[29]
Vgl.
E.Wadle, Das Ermächtigungsgesetz — Eine Erinnerung, JuS
1983, S. 170 ff. m. w. Nw. Zum zeitgenössischen Verständnis der Legalität
vgl. z. B. E. R. Huber,
Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches,
2. Aufl., 1939, 49: "Sie diente der Wahrung einer formellen Kontinuität.
Durch sie wurden Erschütterungen der äußeren Ordnung verhindert, die
unvermeidbar gewesen wären, wenn man jede technische Anknüpfung an den
früheren Rechtszustand abgelehnt hätte."
[30]
Vgl. z. B. das "Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat"
vom 1.12.1933: "Nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution ..."
(§ l). Aus der zeitgenössischen Literatur vgl. statt anderer E. R.
Huber, a.a.O.
(Anm. 29), S. 44 ff.; Koellreutter, Deutsches
Verfassungsrecht, 2. Aufl. 1936, S. 9 f.
[31]
BVerfGE 3, S. 58 ff., S. 87.
[32]
BVerfGE 3, S. 58, 88 unter Hinweis auf Nawiasky, Die Grundgedanken
des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 7, S. 8;
Kelsen,
The Legal Status of Germany According to the Declararion of Berlin, AJIL
39 (1945), S. 518 ff.
[33]
Zum Inhalt der Vier-Mächte-Rechte statt anderer Ress, a.a.O.
(Anm.
4), Rdnr. 5 ff., 115 ff.; Frowein, aaO. (Anm. 4), S. 29 ff.
[34]
Zur Bedeutung der alliierten Rechte für die Vereinigung Deutschlands Frowein.
Die Verfassungslage Deutschlands im Rahmen des Völkerrechts, VVDStRL 49
(1990), S. 11 f.
[35]
Zu dieser Problematik ders., aaO. (Anm. 4), S. 41 f.
[36]
Zu der über Jahrzehnte erhaltenen "Offenheit" der Deutschlandfrage trug
die "Klammerwirkung" der Vier-Mächte-Rechte maßgeblich bei, vgl. statt
anderer E.
Klein, Deutschlands Rechtslage, Handwörterbuch
zur deutschen Einheit, hrsg. von Weidenfeld und Korte, S.
236 ff., S. 237. Wichtig im Rückblick nach wie vor Wengler, Das
Offenhalten der deutschen Frage, in Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil
des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 323.
[37]
BVerfGE 77, S. 137 ff.; kritisch Tomuschat, Staatsvolk ohne Staat?
in: Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift Doehring, 1989, S. 985
ff.
[38]
Vgl. insbes. BVerfGE 36, S. l ff., S. 15 ff.; zum Zusammenwirken Staats-
und völkerrechtlicher Kriterien ebd., S. 19.
[39]
Vgl. den Generalvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Drei Mächten vom 26. Mai 1952 i. d. F. vom 23. Oktober 1954 i. V. m. der
Proklamation der Drei Mächte vom 5. 5. 1955, Text in v. Münch,
Dokumente des geteilten Deutschland, 2. Aufl. 1976, S. 229 ff., S. 249
f.
[40]
Art. 7 Abs. 2 sprach ausdrücklich von einem entsprechend zielgerichteten
"Zusammenwirken" der Unterzeichnerstaaten. Andererseits konnte von den
Drei Mächten nicht mehr an Aktivitäten erwartet werden, als von der Bundesrepublik
Deutschland selbst ausgingen.
[41]
Vgl. statt anderer E. Klein,
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
und die deutsche Frage, 1990, S. 30 ff. m.w.Nw.; Ress, Selbstbestimmungsrecht,
Handwörterbuch zur deutschen Einheit, aaO. (Anm. 36), S. 587 f.; Murswiek,
Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht, Der Staat, 23 (1984),
S. 523 ff.
[42]
Zur Argumentationsweise z.B. BVerfGE 77, S. 137 ff., S. 151 f., S. 161
ff.
[43]
BVerfGE 36, S. l ff., S. 29 ff.
[44]
Statt anderer Ress, aaO. (Anm. 4), passim.
[45]
Zur kaum überschaubaren Literaturfülle siehe zur früheren Diskussion
lediglich Dürig, Der deutsche Staat im Jahre 1945 und seither,
VVDStRL 13 (1955), S. 27 ff., aus neuerer Zeit die ausführlichen Übersichten
bei Bernhardt und Ress,
aaO. (Anm. 4), S. 321 ff., S. 449
ff. m. w. Nw.
[46]
Vgl. schon Hall/Higgins, International Law, 8. Aufl., 1924, S. 114;
allgemein O'Connell, aaO. (Anm. 26).
[47]
Näher
Fiedler, aaO. (Anm. 25), S. 23 ff., S. 65 ff.
[48]
Die Weigerung der Sowjetunion, die Schulden des Zarenreiches zu erfüllen,
wurde zwar mit einem speziellen Revolutionsverständnis verbunden, blieb
in der Staatenpraxis aber letztlich Episode.
[49]
Zur notwendigen Differenzierung der Kontinuitätssprobleme schon Fiedler,
aaO.
(Anm.25),S. 117 ff.
[50]
Zusammenfassend
Fiedler, Continuity, EPIL, hrsg. v. Bernhardt,
Vol. I, 1992, S. 806 ff.
[51]
Vgl.
Sempf, Konföderation/Föderation, in Weidenfeld und
Körte
(Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Einheit, 1991, S. 441 ff.; vgl.
auch den "Vertragsentwurf zur Schaffung eines Staatenbundes Deutschland",
vorgelegt von Mengel
und
Poeggel, EuGRZ 1990, S. 83 ff.
[52]
Zu den völkerrechtlichen Konsequenzen Blumenwitz, Staatennachfolge
und die Einigung Deutschlands, Teil l, 1992, S. 41 ff.; Fastenrath,
Der deutsche Einigungsvertrag im Lichte des Rechts der Staatsnachfolge,
Austrian J. Publ. Intl. Law 44 (1992), S. l ff.
[53]
Vgl.
Herdegen, aaO. (Anm. 4), S. 2.
[54]
Unzutreffend und widerlegt Tomuschat, aaO. (Anm. 37), S. 1007, wenn
er von den "Fesseln eines verfassungsrechtlichen Deutschlandbildes" spricht.
[55]
Vgl. lediglich Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/l, 2.
Aufl., 1988, S. 123 f., 79.
[56]O'Connell,
aaO. (Anm. 26), S. 30 ff.; vgl. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O.
(Anm.
55), S. 153: "In Zweifelsfällen sind Wille und Rechtsanschauung der unmittelbar
beteiligten Staaten, aber auch das Urteil der übrigen Staaten und der
zwischenstaatlichen Organisationen bedeutsam. Im internationalen Rechtsleben
ist der Staat das, wofür man ihn hält."
[57]
Vgl. Art. 5 EV; offen bleibt die Frage nach den Auswirkungen einigungsbedingter
Sonderregelungen der Verfassung, etwa im Bereich des Eigentumsschutzes,
vgl. Art. 143 Abs. 3 GG.
[58]
Zu den Modalitäten der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts E. Klein,
aaO.
(Anm. 41), S. 49 ff.
[59]
Die völkerrechtliche Identität von Staaten, Festschrift für Klang, 1950,
S. 18 unter Hinweis vor allem auf das Londoner Protokoll von 1831, vgl.
jetzt Ver-dross/Simma, aaO. (Anm. 19), § 391 m. w. Nw.
[60]
Vgl. statt anderer E. Klein,
aaO. (Anm. 41), S. 30 ff.
[61]
Zur Chronologie vgl. Fromont, L'union de l'Allemagne dans la liberté
1989/90, Revue de Droit Public et de la Science Politique 1991, S. 121
ff. Daß die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes durch das betreffende
Volk zu erfolgen hat, schließt Modifizierungen des Ausübungsaktes nicht
aus, wenn nur die Fixierung an die "Freiheit" der Ausübung gewahrt bleibt,
vgl. E. Klein,
aaO. (Anm. 41), S. 50 ff.
[62]
Vgl.
A.Roberts, Prolonged Military Occupation: The Israeli-Occupied
Territories since 1976, AJIL 84, S. 44 ff., S. 48 f.
[63]
Zur Weite und Vieldeutigkeit des Begriffs ausführlich Hacker, Der
Ostblock, 1983, S. 914 ff.
[64]
"in Würdigung dessen, daß das deutsche Volk in freier Ausübung des Selbstbestimmungsrechts
seinen Willen bekundet hat, die staatliche Einheit Deutschlands herzustellen",
vgl. ferner in einer früheren Passage der Präambel den Zusammenhang mit
den Grundsätzen der Vereinten Nationen, dazu Fiedler, Die Wiedererlangung
der Souveränität Deutschlands und die Einigung Europas, JZ 1991, S. 685
ff., S. 689.
[65]
Der Hinweis auf ein "vereintes Europa" findet sich in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Erwähnung des Selbstbestimmungsrechts der Völker: "um als gleichberechtigtes
und souveränes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu
dienen". Die Erwähnung der KSZE folgt unmittelbar nach dem Hinweis auf
die Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen.
[66]
Art. l befaßt sich mit den Grenzen Deutschlands, Art. 2 mit dem Verzicht
auf Friedensbedrohung und Angriffskrieg, Art. 3 mit dem Verzicht auf atomare,
biologische und chemische Waffen und der Reduktion der künftigen Truppenstärke.
[67]Wildhaber,
Entstehung und Aktualität der Souveränität, Festschrift Eichenberger
1982, S. 131 ff.; ders., Sovereignty and International Law, in MacDonald/
Johnston
(Ed.), The Structure and Process of International Law, 1986,
S. 425 ff.; Steinberger, Sovereignty, EPIL, Inst. 10, 1987, S. 397
ff.; Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, Handbuch des
Staatsrechts, hrsg. v. Isensee und Kirchhof, Bd. I, 1987,
S. 681 ff.
[68]
Vgl. die Vereinbarung vom 27./28. 9. 1990 zum Deutschlandvertrag und zum
Überleitungsvertrag, BGB1. II, 1386.
[69]
Näher
Herdegen,aaO. (Anm. 4); E. Klein,
Der Einigungsvertrag
— Verfassungsprobleme und -auftrage, DÖV 1991, S. 569 ff., S. 572 ff.
[70]Herdegen
spricht zutreffend von der "exzeptionelle(n) Vereinbarung von Verfassungsänderungen
in einem völkerrechtlichen Vertrag" und weist auf die "normative Basis"
des Art. 59 Abs.2 S. l GG hin, aaO. (Anm. 4), 4. Zum Verfahren näher E.
Klein,
aaO. (Anm. 69).
[71]
Vgl. BVerfGE 82, 316 ff.; dazu E. Klein,
oben Anm. 70, S. 570, mit
"Bedenken gegen paktierte Verfassungsänderungen" und der Aufforderung,
"gegenüber Verfassungsänderungen durch Verträge äußerste Zurückhaltung
zu üben". Näher Heintschel von Heinegg,
Die Mitwirkungsrechte
der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und das Zustimmungsgesetz zum
Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik, DVB1. 1990, S. 1270 ff.
[72]
"Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik werden sicherstellen, daß . . .", Art. l Abs. 4 des Zwei-plus-Vier-Vertrages.
[73]
Zur historischen Ausgangslage Kimminich, Deutschland und Europa,
Historische Grundlagen, 1992.
[74]
Die Abtretung der Oder-Neiße-Gebiete stellte aus der Sicht des deutschen
Gesamtstaates den endgültigen rechtlichen Verlust von rd. 114000 km
2
Staatsgebiet dar, dessen Zugehörigkeit mit rd. 9,5 Mio. deutschen Staatsangehörigen
zum Völkerrechtssubjekt Deutschland vor 1945 unbestritten war. Das Territorium
der früheren DDR betrug demgegenüber nur ca. 108 000 km
2
(Quelle bzgl. der Zahlenangaben Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., 5.
Bd., 1988). Zur juristischen Diskussion statt anderer E. Klein,
aaO.
(Anm. 69), S. 572; ausführlich Gornig,
Die deutsch-polnische Grenzregelung,
Studien zur Deutschlandfrage, Bd. 11, 1993, S. 163 ff. m. zahlreichen Nw.
[75]
Zutreffend zählt Tomuschat auch "das anerkannte Siedlungsgebiet
eines Volkes" zum Schutzobjekt des Selbstbestimmungsrechts, aaO. (Anm.
37), S. 999. Diese häufig unterschätzte Problematik, die bislang auch
von anderen Autoren behandelt wurde, wird nach den Erfahrungen mit dem
Jugoslawien-Konflikt der Gegenwart nur um so plausibler. Ausführlich Kimminich,
Das Recht auf Heimat, 3. Aufl., 1989, S. 65 ff. m. w. Nw.
[76]
In diesem Sinne auch Re55, aaO. (Anm. 41), 589 f.; vgl. auch E.
Klein,
aaO. (Anm. 69), S. 572. Zur "Wahrnehmung der historischen Chance
der Herstellung der Einheit Deutschlands" BVerfGE 82, S. 316, S. 321.
[77]
Vgl. i. E. die Bezugnahmen der Präambel des Zwei-plus-Vier-Vertrages und
das Geflecht der parallelen Entscheidungsabläufe, dazu Fiedler,
aaO. (Anm. 64), S. 688); Gornig, Die vertragliche Regelung der mit
der deutschen Vereinigung verbundenen auswärtigen Probleme, Außenpolitik
1991, S. 3 ff. Zur rechtlichen Problematik vgl. Randelzhofer, Deutsche
Einheit und europäische Integration, VVDStRL 49 (1991), S. 101 ff.; Hailbronner,
Das vereinte Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft, DtZ 9/1991,
S. 391 ff. m. w. Nw. Das "Geflecht internationaler Verträge" ist dargestellt
bei Busse, Das vertragliche Werk der deutschen Einheit und die Veränderungen
von Verfassungsrecht, DÖV 1991, S. 345 ff.
[78]
Vgl.
Grewe, Peace Treaties, EPIL, hrsg. v. Bernhardt, Inst.
4, 1982, S. 102 ff.
[79]Dieter
Schröder
(Hrsg.), Das geltende Besatzungsrecht, 1990, S. 1063 S.
[80]
Vgl.
Frowein, aaO. (Anm. 4), S. 44; Zur völkerrechtlichen Bedeutung
des Kriteriums der "Endgültigkeit" Fiedler, aaO. (Anm. 25), S.
58 f., S. 108 ff.
[81]Herdegen,
Extrakonstitutionelle Grundlagen der deutschen Rechtsordnung?, Staat und
Recht 39 (1990), S. 697 ff.
[82]Busse,
aaO. (Anm. 77).