![]() S a a r b r ü c k e r B i b l i o t h e k (http://www.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek) | Erstveröffentlichung: Studien zur Deutschlandfrage, Band l4 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis Hrsg.: B. Meissner/A. Eisfeld Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 263 - 269 |
Wilfried FiedlerWARUM WIRD UM DIE KRIEGSBEUTE NOCH IMMER GESTRITTEN?
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Die deutsch-russischen Gespräche
und Verhandlungen über die Rückgabe von "Beutekunst" verlaufen
höchst irritierend. Die Russen taktieren rätselhaft: Mal zeigen sie
sich zur Rückgabe bereit, mal lehnen sie sie brüsk ab. Lange leugneten
sie rundweg die Existenz geraubten Kulturguts und öffneten nur zögernd
ihre Geheimdepots: Zuletzt tauchten das Schliemann-Gold und, aus den
Eremitage-Verliesen, Bilder aus deutschem Privatbesitz
auf.
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Die deutsch-russischen Beziehungen litten
lange Zeit unter besonderen historischen Lasten, doch nach den Umwälzungen
in Osteuropa begann sich das bedrückende Dunkel zu lichten. Das Jahr 1990
brachte mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht nur eine Klärung
der Rechtslage Deutschlands, sondern auch eine Reihe von deutsch-
sowjetischen Verträgen, die das seit dem Zweiten Weltkrieg tief
gestörte gegenseitige Verhältnis in eine neue politische Zukunft
führen sollten. Der Gipfel dieser Bemühungen wurde mit dem "Vertrag
über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit" vom 9. November
1990 erreicht, und an herausgehobener Stelle drückten beide Staaten ihren
Wunsch aus, "mit der Vergangenheit endgültig abzuschließen und durch
Verständigung und Versöhnung einen gewichtigen Beitrag zur
Überwindung der Trennung Europas zu
leisten".[1]
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Diesem Geist entsprach auch die im Vertrag
ausdrücklich enthaltene Verpflichtung der beiden Staaten, daß
verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze, die sich
auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen
Rechtsnachfolger zurückgegeben werden" (Art. 16 Abs. 2). Mit dieser
Vertragsbestimmung schien auch der Weg zur Erledigung eines belastenden
Konflikts gefunden: der Rückgabe der während und nach dem Zweiten
Weltkrieg aus dem Lande des Vertragspartners verschleppten
Kulturgüter.
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Um die zitierte Bestimmung, aber nicht nur
um sie, rankt sich seit 1993 eine juristische Kontroverse, die den Geist, in dem
die Verträge abgeschlossen waren, gelegentlich kaum mehr erkennen
läßt. Dies ist um so erstaunlicher, als die betreffende
Vertragspassage im Dezember 1992 im "Deutsch-Russischen Abkommen über
kulturelle Zusammenarbeit" bekräftigt wurde (Art.
15)[2] und auch
Präsident Jelzin im März 1994 ausdrücklich hervorhob, daß
die betreffenden Bestimmungen "eine dauerhafte rechtliche Grundlage für die
Regelung der gegenseitigen Restitutionsansprüche schaffen". Dieser
Bekräftigungen hätte es allerdings nicht bedurft, denn mit dem Vertrag
von 1990 war eine verbindliche zwischenstaatliche Rechtsgrundlage geschaffen
worden, aus der sich die Rückgabeverpflichtungen bereits
ergaben.
I. Der internationale Ruf steht auf dem Spiel
Deutlich wird in diesem ganz
selbstverständlichen Punkte jedoch eine erste schwerwiegende Irritation.
Auch in der deutschen Öffentlichkeit ist nicht hinlänglich bekannt,
daß die umstrittene Rückgabe bereits verbindlich zwischen beiden
Staaten geregelt worden ist und daß daneben kein Raum mehr für
politische Grundsatzerörterungen besteht. Es handelt sich nicht um eine
freischwebende politische Angelegenheit, die je nach Stimmungslage neu behandelt
werden könnte, sondern um die Erfüllung eines völkerrechtlichen
Vertrages, der seit 1990 für beide Seiten dem Satz "Pacta sunt servanda"
unterliegt.
Die Folgen dieses Umstandes sind von
erheblichem rechtlichen, aber auch politischen Ausmaß. Denn mit der
Erfüllung eines abgeschlossenen und in Kraft getretenen
völkerrechtlichen Vertrages hängt das politische Renommee des
betreffenden Vertragspartners zusammen. Gerade die Sowjetunion war dafür
bekannt, daß die einmal von ihr abgeschlossenen Verträge strikt
eingehalten wurden. Daß Rußland als Nachfolgestaat der Sowjetunion
gerade diese Tradition nicht übernehmen wollte, dafür liegen keine
Anhaltspunkte vor. Es ist vielmehr anzunehmen, daß die Diskussion um die
Restitution der "Kriegsbeute" in Unkenntnis des drohenden Verlustes an
staatlichem Ansehen in der internationalen Staatengemeinschaft geführt
wird.
Die Irritation wird auch durch einen
weiteren Gedankengang unterstützt. Er liegt in dem Festhalten an einem
längst überholten Vorrang des innerstaatlichen vor dem internationalen
Recht. Die Rückkehr der Sowjetunion in die Staatenfamilie ging seit 1987
mit dem Zurückweichen politischer Kriterien hinter das weltweit
verbindliche Völkerrecht einher. Auch der deutsch-sowjetische
Vertrag vom November 1990 geht vom Vorrang des Völkerrechts aus. Die
Vertragspartner gewährleisten ausdrücklich den Vorrang der allgemeinen
Regeln des Völkerrechts in der Innen- und internationalen Politik und
bekräftigen die Entschlossenheit, die vertraglichen Verpflichtungen
gewissenhaft zu erfüllen (Art. l Abs. 6).
Der Grund für den Widerstand gegen die
eingegangene verträgliche Verpflichtung ist nicht zuletzt in dem
politischen Stellenwert der sogenannten "Kriegsbeute" zu suchen. Wie immer diese
Vorstellungen aussehen mögen, fest steht, daß durch die vertragliche
Regelung von 1990 das Entscheidende über die Rückführung gesagt
worden ist. Darüber hinausgehende Vorstellungen über die
Einschätzung der "Kriegsbeute" stehen meist in Widerspruch zu der schon zur
Zeit des Zweiten Weltkrieges bestehenden Rechtslage.
Zunächst steht fest, daß die
deutschen Kulturgüter erst nach Beendigung der Kriegshandlungen in die
Sowjetunion transportiert worden sind. Die Wegnahme erfolgte keineswegs spontan,
sondern bestand in einem flächenmäßig fast kompletten
Ausräumen von Museen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Sammlungen und
Schutzdepots. Die Tätigkeit der sowjetischen Trophäenkommissionen ist
inzwischen hinlänglich bekannt und auch von russischen Forschern eingehend
beschrieben worden. Auch die "Brigade des Komitees für Kunstangelegenheiten
in Berlin", die unter anderem das Schliemann-Gold nach Moskau brachte,
gehörte zu einem einheitlichen System zur Überführung von
Trophäen, kontrolliert von einem "Sonderkomitee Deutschland beim
Staatlichen Komitee für Verteidigung". Der Beschluß über seine
Bildung wurde auf einer Sitzung des Politbüros gefaßt, seine
Aktivitäten wurden persönlich von Stalin geleitet. Solche Brigaden,
die anfangs an den Fronten gebildet wurden, unterstanden später der
Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Alle Mitglieder solcher
Brigaden trugen, wie Grigorij Koslow und Konstantin Akinscha schreiben,
Heeresuniformen mit Ofiziersepauletten, obwohl die Mehrzahl ihrer Mitglieder
keine Militärangehörigen
waren.[3]
Anders als zur Zeit der Beutezüge
Napoleons besteht seit der Haager Landkriegsordnung von 1907 für
alle Staaten das Verbot der einseitigen Wegnahme von Kulturgütern
während eines kriegerischen Konfliktes und der nachfolgenden Besetzung, so
daß sowohl die Maßnahmen der Nationalsozialisten als auch diejenigen
der Sowjetunion und anderer Staaten während und nach dem Zweiten Weltkrieg
ohne Rechtsgrundlage blieben.
Das Zentralkomitee der KPdSU ging in den
fünfziger Jahren davon aus, daß sich über 2,5 Millionen
"(Gegenstände der Kunst und Kultur" aus Deutschland in der Sowjetunion
befanden, wovon ein erheblicher Teil in den fünfziger und sechziger Jahren
an die DDR zurückgegeben wurde. Gemessen an den vom Zentralkomitee zugrunde
gelegten Zahlen, wirken die von der deutschen Seite während der letzten
Verhandlungsrunde im Juni 1994 in Bonn benannten "circa 200.000
Museumsgüter, zwei Millionen Bücher und drei Kilometer Archivgut"
vergleichsweise bescheiden. Bei der Rückgabe eines Teiles der in die
Sowjetunion verbrachten deutschen Kulturgüter halle das Zentralkomitee der
KPdSU von den "Kostbarkeiten für die Geschichte der Nationalkultur
Deutschlands" gesprochen, womit auch heule die in Rußland festgehaltenen
Kulturgüter prägnant bezeichnet sind.
Zu den auch in der deutschen
Öffentlichkeit nicht hinreichend bekannten Fakten zählen die in
Rußland verwahrten deutschen Bestände im einzelnen. Dazu zählen
nicht allein das berühmte Schliemann-Gold aus Troja, auch nicht die
achtzig Objekte des Eberswalder Goldfundes oder die wertvollen Bücher der
Gothaer Sammlung, sondern zahlreiche Kunstgegenstände, Bibliotheken und
Archivgüter, die nicht minder bedeutsam sind. Hinzuweisen ist lediglich auf
die im Puschkin-Museum in Moskau und in der Eremitage in St. Petersburg
lagernden deutschen Kulturgüter, darunter wertvolle Zeichnungsbestände
der Bremer Kunsthalle und die Sammlung Krebs, ferner, um nur einige Beispiele zu
nennen, die beiden Gutenberg-Bibeln, die Bibliothek der Sächsischen
Landesbibliothek Dresden und die Sammlung von Rara (16. Jahrhundert) neben
wichtigen Archivbeständen, wie etwa dem Nachlaß Walter Rathenaus und
Beständen aus dem Reichsjustizministerium und dem Reichsgericht. Neben
umfangreichen Sammlungen aus den Berliner Museen linden sich Tausende von
überaus wertvollen Gemälden aus staatlichem und privatem Kunstbesitz
bis hin zu dem Nachlaß Wilhelm von Humboldts aus dem Schloß Tegel.
Die Liste der Museumsstücke, Bibliotheksbestände und Archivalien
vermittelt einen Querschnitt durch die deutsche Geschichte und die in
Jahrhunderten entwickelte Museumskultur. Die Fülle der in Rußland
lagernden deutschen Kulturgüter markiert zugleich den Umfang der immer
wieder neu entfachbaren Belastung des künftigen deutsch-russischen
Verhältnisses, falls es nicht gelingt, zu einer den geschlossenen
Verträgen entsprechenden Praxis zu gelangen.
II. Ermächtigung zum Beutezug durch alliiertes Sonderrecht?Ein weiterer rechtlicher Gesichtspunkt
liegt der Frage zugrunde, ob das Verbot der Wegnahme von Kulturgütern
während oder nach einem kriegerischen Konflikt durch alliiertes Sonderrecht
verdrängt wurde. Doch auch das vom Alliierten Kontrollrat gesetzte Recht
liefert keine Ermächtigung zu entsprechenden Beutezügen, wie sie von
Stalin initiiert wurden.
Aber auch wenn für einzelne Bereiche
durch den Alliierten Kontrollrat grünes Licht für die Wegnahme
deutscher Kunstobjekte gegeben worden wäre, stellt sich die Frage, ab dies
vor dem Hintergrund des damals und heute geltenden Völkerrechts
überhaupt rechtmäßig gewesen wäre. Damit ist auf eine
Kernfrage der bisherigen Verhandlungen einzugehen, eine Frage, die sich auf den
inneren Grund der Ansprüche auf Rückführung aus Rußland
richtet.
Die Tatsache, Haft 1990 eine Einigung
über die Rückführung der Kulturgüter erfolgte, trägt
dem inneren Grund des internationalen Schutzes von Kulturgütern Rechnung.
Er ist darin zu sehen, daß das internationale Recht seit langer Zeit,
insbesondere seit dem Beginn dieses Jahrhunderts, das Kulturgut eines anderen
Staates in besonderer Weise schützt, weil es die historische Leistung eines
Volkes und eines Staates repräsentiert und die Identität eines Volkes
historisch symbolisiert. Zu den Kulturgütern zählen insbesondere auch
die Museumsgüter, die in ihrer speziellen Funktion der Bewahrung und
öffentlichen Darbietung eine besondere Bedeutung erlangen. Der Schutz der
Kulturgüter eines Nachbarstaates vor Wegführung im Kriege bringt
zugleich den Respekt vor einem anderen Volke im Hinblick auf eine spezifische
historische Leistung zum Aus<druck. Kulturgüter sind daher nicht in
erster Linie als Handelsware oder als Vermögensgegenstände zu
betrachten, die dazu dienen könnten, finanzielle Notlagen einzelner
Staaten zu bessern. Sie sind aufgrund ihres besonderen völkerrechtlichen
Ranges auch nicht geeignet, im Rahmen von Reparationsleistungen herangezogen zu
werden. Berücksichtigt man diese innere Verbindung zu dem Volk der
Vertragspartei, so wird deutlich, daß die Gesichtspunkte des finanziellen
Ausgleichs oder der Reparation keine brauchbaren Kriterien
darstellen.
Ein anderer Gesichtspunkt bezieht sich
auf den historischen Zusammenhang und die unterschiedliche Behandlung der
sowjetischen Wegführungen im Vergleich mit den nationalsozialistischen
Rauhzügen in der Sowjetunion. Eine unterschiedliche Behandlung beider
Vorgänge in bezug auf die Restitution von Kulturgütern läßt
sich mit dem geltenden internationalen Recht nicht vereinbaren. Denn der Schutz
von Kulturgütern fremder Staaten und Völker gilt unabhängig von
dem jeweiligen Anlaß. Die deutsche Seile hat nie die Rechtswidrigkeit der
Verbringung von Kulturgütern aus der Sowjetunion während des Zweiten
Weltkrieges bestritten und diese Vorgänge stets lief bedauert. Um so
wichtiger erscheint es, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und Formen
der einseitigen Wegnahme umfassend abzulehnen. gerade der Respekt vor dem Volk
des Vertragspartners gebietet, diese Distanz von den barbarischen Raubzügen
der Nationalsozialisten einzuhalten und die Achtung vor der Kultur des
Nachbarvolkes immer wieder zu betonen.
Dies gilt insbesondere im Blick auf den
Vertragsschluß von 1990, der in einer Zeit erfolgte, in der im Rahmen der
Unesco die kriegsbedingte Wegführung von Kulturgütern seit 19S4
nochmals und noch deutlicher untersagt wurde. Dieser veränderten
Ausgangslage waren sich die Vertragspartner 1990 wie 1992 bewußt. Folglich
kann es bei der Regelung der Rückführungen nicht darum gehen, das Jahr
1945 und die Nachkriegszeit nach Abschluß des
Zwei-plus-Vier-Vertrages neu zu beleben.
Betrachtet man die Problematik der
Kriegsbeute vor dem Hintergrund der erwähnten Argumente, so zeigt sich kein
Gesichtspunkt, der es rechtfertigen würde, auf "Kriegsbeute" oder
"Siegestrophäen" stolz sein zu können. Daß auch in der
Sowjetunion kein Bedürfnis bestand, den Umfang der weggeführten
deutschen Kunstschätze zu betonen, wird in dem Umgang mit den
deutschen Kulturgütern deutlich. Sie wurden, von den an die DDR
zurückgegebenen Objekten abgesehen, mit einem dichten Mantel der
Geheimhaltung, versehen, der Verbleib in der Sowjetunion mehr als 40 Jahre lang
geleugnet, ' so daß diese Kunstschätze schließlich als
verschollen gelten mußten. Erst Ende der achtziger Jahre mußte die.
sowjetische Führung einräumen, daß sich die vermißten
Kulturgüter in der Sowjetunion beziehungsweise in Rußland befanden.
Erst von diesem Zeitpunkt an wurde der Umfang der dort befindlichen
Kulturgüter abschätzbar. Es war gerade dieses beharrliche Leugnen des
Besitzens von deutschen Kulturgütern, das nicht zuletzt russische Forscher
empörte, die vor allem das Nichtinformieren der Öffentlichkeit
kritisierten. Für viele Forscher galt es als besonders verwerflich,
daß überaus wertvolle Kulturgüter in den Kellern sowjetischer
Museen versteckt wurden, statt sie der interessierten Öffentlichkeit etwa
für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Das jahrzehntelange
Verbergen der Kulturgüter deutet nicht auf ein Bewußtsein, da in
aller Regel mit der Bezeichnung als "Trophäe" des Sieges verbunden
wird.
III. Waggonweise ging deutsches Kriegsdiebesgut zurückAuch ein anderer Gesichtspunkt verdient
Beachtung, weil er das Gesamtverhältnis der Vertragsparteien hinreichend
beleuchtet. Die 1990 und 1992, geschlossenen Verträge würden falsch
verstanden, wenn sie den Eindruck vermittelten, als sollte nur Rußland zur
Rückgabe von Kulturgütern verpflichtet werden, während
nachweislich in Deutschland keine entsprechenden Kulturgüter vorhanden
sind, die als Gegenleistung nach Rußland zurückzuführen
wären. In der Tat ist das Verhältnis zwischen Rußland und
Deutschland in bezug auf die Menge der zurückzuführenden
Kulturgüter aus heutiger Sicht einseitig gestaltet. Denn in der
Bundesrepublik lassen sich kaum Gegenstände russischer Herkunft ermitteln,
die in das Vertragsverhältnis eingebracht werden könnten.
Infolgedessen hat man von einer beklagenswerten "Asymmetrie" gesprochen, die zu
Lasten Rußlands wirken könnte. Dieser Eindruck besteht jedoch nur,
wenn man allein die gegenwärtige Situation betrachtet. Nicht
berücksichtigt sind bei dieser Rechnung die von den Nationalsozialisten
nach Deutschland verbrachten sowjetischen Kulturgüter, die von den
Alliierten an den sogenannten "Collecting points" gesammelt wurden und in
zahlreichen Waggonladungen nach dem Kriege bereits in die Sowjetunion
zurückgeführt wurden. Berücksichtigt man auch diese
Rückführungen, so ändert sich das scheinbar einseitige
Bild.
Die Verträge von 1990 und 1992 stehen
am Beginn einer neuen Entwicklung, und es wäre verhängnisvoll, wollte
man die längst in Kraft getretenen Vertragsbestimmungen nicht
zukunftsgerichtet, sondern vergangenheitsbezogen auslegen. In der Gegenwart
dominieren Begriffe wie "Weltkulturerbe" oder "Europäisches Kulturerbe". An
diesen Kriterien sollten sich die Vertragsparteien orientieren. Wenn vom
Europäischen Kulturerbe die Rede ist, so wäre es wiederum eine
Umkehrung des Sinnes dieser Entwicklungen, wollene man den Hinweis auf das
"Europäische" als Legitimierung des Behaltendürfens von Kriegsbeute
mißbrauchen. Die Respektierung des Europäischen Kulturerbes setzt die
Rückgabe der kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter an die jeweilige
Nation voraus, erlaubt jedoch auch Sonderregelungen, etwa für Ausstellungen
und Verfilmungen, wie dies bereits bei Rückgaben durch die Sowjetunion an
die DDR praktiziert wurde. In keinem Fall kann der Gedanke des Weltkulturerbes
oder des Europäischen Kulturerbes dazu dienen, der Wegnahme historischen
Kulturerbes den Mantel der Rechtmäßigkeit umzuhängen.
Pragmatische zukunftsorientierte Lösungen dürfen die Grundlagen des
geltenden Völkerrechtes nicht aus den Augen verlieren. Sie sollten es
vielmehr im Sinne stabiler, dauerhaft freundschaftlicher Beziehungen
nutzen.
[1]
BGBI 1991 II, S. 702 ff.
[2]
Vgl. Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin Nr.
139 vom 22.12.1992, S. 1.270.
[3]
Vgl. Akinscha, K.; Koslow, G.: Beutekunst. Auf der Schatzsuche in russischen
Geheimdepots... Eine hisorische
Reportage,
München 1995
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