![]() S a a r b r ü c k e r B i b l i o t h e k (http://www.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek) |
II. Der Blick nach AmerikaVielversprechend ist zunächst ein Blick in
die USA, denn das Land der immer noch - und offenbar mehr denn je -
„unbegrenzten Möglichkeiten“ ist nicht nur das Ursprungsland
des modernen Franchisevertriebs; von den USA sind vielmehr auch maßgebende
Liberalisierungsimpulse für das Selbstverständnis und die
Tätigkeit der Rechtsanwälte ausgegangen, die - gerade auf dem Gebiet
der anwaltlichen Kooperationen (Stichwort: Law Firms) - Deutschland und
ganz Europa ergriffen haben und die sich im Zeichen der sogenannten
Globalisierung, die doch zuvörderst eine Amerikanisierung ist, weiter
ausdehnen. Schon im Jahre 1977 hat der Supreme Court of the United States
die von den Berufsorganisationen der U.S.-amerikanischen Anwaltschaft erlassenen
Canons mit ihren weitreichenden Werbeverboten wegen Verstoßes gegen
die Rede-, Presse- und Informationsfreiheit des First Amendments für
verfassungswidrig erklärt. Die Anwaltschaft hat die dadurch gewonnenen
Freiheiten und Spielräume schnell und tiefgreifend auszunutzen verstanden,
teilweise im Widerstand zu ihrer obersten Standesorganisation, der American
Bar Association, die das traditionelle Ansehen und berufliche Ethos der
Lawyers aufrechtzuerhalten suchte, dabei aber vom Department of
Justice unter Hinweis auf die Antitrust-Gesetze zurückgepfiffen
wurde.[2] Im Zuge dieser
Entwicklung breiteten sich in den Großstädten die sogenannten
Legal Clinics als kooperative Zusammenschlüsse von Anwälten mit
einem Netz von Points of Services aus, die teils auf
gesellschaftsrechtlicher Grundlage mit Zweigniederlassungen, teils aber auch als
Franchisesysteme mit fächerförmigen Kooperationsverträgen der
Kanzleien mit einer Systemzentrale organisiert wurden. Der Erfolg dieser
Legal Clinics erscheint vor allem bei Routinefällen wie Scheidungen,
Testamentserrichtungen, Verkehrsdelikten oder Mietstreitigkeiten
spektakulär und ungebrochen, nicht zuletzt dank des Einsatzes
kundenfreundlicher Vergütungssysteme und offensiver überregionaler
Werbestrategien unter Einsatz der Medien mit einem Zuschnitt vor allem auf
weniger finanzkräftige blue collar workers oder middle class
people. Nachdem manche krasse Auswüchse und marktschreierische
Praktiken inzwischen zurückgeschnitten sind, erfreuen sich die Legal
Clinics nachhaltiger Beliebtheit und geschäftlicher Erfolge, zumal sie
übrigens auch einen wertvollen Beitrag für die Ausbildung junger
Juristen nach ihrem Universitätsabschluß oder schon während
ihres Law School-Studiums bieten. Die Legal Clinics gelten als
Synonym für einfache, ortsnahe, schnelle und preisgünstige
Beratung.
Zu den neuen Angebots- und Kooperationsformen,
die sich bewusst und zielgerichtet an das Franchise-Prinzip anlehnen und die die
erfolgreichen Franchisesysteme von Handels- oder Gastronomieketten bis hin zur
Kopie nachahmen, gehören in den USA auch die sogenannten Law Stores
in Kaufhäusern oder Einkaufszentren, in denen beispielsweise Rechtsrat in
Routinefällen zum Festhonorar von 30 Dollar pro Auskunft zu erlangen ist.
Des weiteren sind die Organisationen der telephonischen Rechtsberatung, die
Call-in-Legal-Services, zu erwähnen. Die Systemzentrale nimmt den
Anruf eines rechtsratsuchenden Klienten entgegen, sucht aufgrund einer
summarischen Vorprüfung sodann einen spezialisierten Anwalt aus, der den
Klienten zurückruft und ihm auf der Basis fester Stunden- oder
Minutensätze Auskunft erteilt. Dabei sind, wohlgemerkt, diese Anwälte
im Regelfall weder Partner noch Angestellte der Systemzentrale, sondern mit
dieser durch einen Franchisevertrag verbunden. Es versteht sich, dass die
Systemzentrale als Rechtsberatungsfirma mit nur wenigen eigenen Mitarbeitern,
aber mit einer Vielzahl hochspezialisierter Kooperationspartner ein umfassendes
Dienstleistungsangebot prestieren kann. Weitergehend bieten einige
Rechtsberatungsunternehmen prepaid services an, bei denen der Mandant
einen jährlichen oder monatlichen Pauschalbetrag an die Zentrale zahlt, die
dann im Bedarfsfall einen ihrer spezialisierten anwaltlichen Kooperationspartner
einschaltet. Diese Franchisenehmer erhalten ihr Honorar sodann von der Zentrale,
und zwar nicht unbedingt fallweise nach Aufwand oder Streitwert, sondern oft
gleichfalls als lump sum nach Maßgabe des Kooperationsvertrags. Man
kann sich leicht vorstellen, dass die Nachfragebündelung der Zentrale
hierbei betriebswirtschaftlich reizvolle Kalkulationen erlaubt.
Diese Erscheinungen und Entwicklungen im
U.S.-amerikanischen Anwaltsmarkt lassen sich zu der Beobachtung verallgemeinern,
dass sich die unter starken Wettbewerbs- und Rationalisierungsdruck geratenen
klassischen Honorarberufe in einigen Teilbereichen inzwischen auch solchen
Kooperationsformen und Marketinginstrumenten öffnen, die sich zunächst
im Einzelhandel mit Konsumgütern ausgeprägt haben und sodann für
die Erbringung standardisierter, von einer Dienstleistungszentrale
vorprogrammierter und von einzelnen operativen Dienstleistern
programmgemäß erbrachter gewerblicher Dienstleistungen eingesetzt
wurden. Sie sind für die beachtlichen Zuwachsraten im U.S.-amerikanischen
Markt rechtsanwaltlicher Leistungen zumindest
mitverantwortlich[3], auch
wenn sie keine Großaufträge, sondern das Massengeschäft zum
Gegenstand haben. In den USA haben diese Entwicklungen übrigens sogar
bereits das Gesundheitswesen ergriffen, wo etwa eine nach dem Franchise-Prinzip
arbeitende Zahnarztkette mit dem Slogan „Here comes
McDentist’s“ wirbt. Das ist von einer
McLaw’s-Anwaltskanzlei nicht mehr allzu weit entfernt.
Nun ist in Amerika natürlich alles anders
als in Deutschland; oder besser: noch ist in Deutschland alles anders als
in Amerika. In Deutschland hat - mit einem rechtspolitischen time-lag
von zehn Jahren gegenüber den USA - das Bundesverfassungsgericht mit
seinem Beschluß vom 14. Juli
1987[4] die bis dahin
geltenden Standesrichtlinien der Rechtsanwälte erschüttert und
gleichfalls eine Liberalisierungswelle initiiert, die sich auch und insbesondere
auf das anwaltliche Kooperationsrecht ausgewirkt hat. Bevor wir das heute
geltende Kooperationsrecht daraufhin inspizieren, ob und inwieweit es
Franchiseverträge und -systeme erlaubt oder verhindert, erscheint es
sinnvoll, sich deren Strukturen und Elemente in Erinnerung zu rufen.
[2] Vgl. hierzu und zum
folgenden Robert Adam, Die legal clinics in den USA, ZfRV 1978, 217 f.;
Winters, Der Rechtsanwaltsmarkt – Chancen, Risiken und
zukünftige Entwicklungen, 1989, S. 264 ff.
[3] Vgl. hierzu die Statistiken
und Übersichten bei Winters (Fn. 2).
[4] BVerfGE 76, 171 ff.und die
Parallelentscheidung BVerfGE 76, 196 ff.
|
Zum GESAMTKATALOG | Zum ANFANG des Abschnitts |