Filippo Ranieri
Juristen für Europa: Wahre und falsche Probleme in der derzeitigen Reformdiskussion zur deutschen Juristenausbildung
Die Reform der deutschen Juristenausbildung ist unverhofft erneut auf
die Tagesordnung gekommen. Seit der Ankündigung der
Justizministerkonferenz im Mai vergangenen Jahres sowie seit den
Beschlüssen derselben Konferenz noch vor einigen Tagen hier in
Saarbrücken ist die alte Diskussion innerhalb und außerhalb der
Fachkreise erneut mit Heftigkeit ausgebrochen. "Das Elend" eines Studiums ist
bereits beschworen worden, das sich - wie kürzlich an höchster Stelle
plakativ behauptet wurde, "auf dem Weg ins Abseits" befinden soll. Neben
fachwissenschaftlichen Qualitätsüberlegungen spielen auch
hochschulpolitische Momente, standespolitische Rücksichtnahmen und Sorgen,
nicht zuletzt auch fiskalische Gesichtspunkte, hier eine Rolle. Die Flut der
schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen von mehr oder minder berufenen
Diskussionsteilnehmern ist inzwischen bereits unübersehbar geworden. Ein
Argument scheint inzwischen an Beliebtheit und an Häufigkeit andere
Streitpunkte in den Schatten zu stellen: Es geht darum, daß die
derzeitige deutsche Juristenausbildung dem europäischen und
internationalen Vergleich nicht standhalten würde, und daß darunter
die Konkurrenzfähigkeit deutscher Rechtsabsolventen leiden würde
Immerhin hat ein ehemaliger Verfassungsrichter bereits die armen deutschen
Referendare mit den gleichaltrigen ausländischen Anwälten verglichen,
die in Frankreich etwa erfolgreich für international operierende Kanzleien
tätig sind. Die Kritikpunkte und ihre jeweilige Gewichtung sind in der
Diskussion je nach Standpunkt und Interessenlage der Beteiligten
verständlicherweise unterschiedlich verteilt und gewichtet. Einige
zusammenfassende Stichworte mögen hier als Einführung genügen.
Die derzeitige Ausbildung sei allzu lang, die deutschen Rechtsabsolventen
würden in einem Alter in die Praxis entlassen, das erheblich höher
liegt als beim juristischen Nachwuchs in den europäischen
Nachbarländern; die Ausbildung selbst sei ineffizient und mit allzu hohen
Durchfallquoten verbunden; die Prüfungsanforderungen in den Staatsexamina,
vor allem im ersten Staatsexamen, seien unrealistisch zu hoch; das System
selbst des derzeitigen ersten juristischen Staatsexamens sei den heutigen
Anforderungen an einen Juristen und an die heutigen professionellen Erwartungen
- vor allem seitens der Anwaltschaft - dysfunktional und unzureichend. Die
Vorschläge, die hier gemacht werden, sind recht unterschiedlich und z.T.
gegensätzlich: Manche würden das Staatsexamen selbst allein durch
Universitätsprüfungen ersetzen; das Staatsexamen und die damit
verbundene Qualifikation des "Einheitsjuristen" täusche nur eine
universelle, in Wirklichkeit nicht vorhandene juristische Qualifikation vor und
sei zudem in seiner Justizorientierung nur noch Zeugnis einer historisch
überholten, autoritären Vorstellung des Juristen als
"Staatsjuristen". Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer scheint allerdings
bisher noch an dem Modell des Staatsexamens festhalten zu wollen, möchte
jedoch das darauffolgende Referendariat differenzieren; häufig wird ferner
vorgeschlagen, universitäre Leistungskontrollen und Zwischenprüfungen
einzuführen und deren Ergebnisse der Note im Staatsexamen anzurechnen.
Auch hier wird regelmäßig auf die Ausbildungs- und
Prüfungsformen im europäischen Ausland verwiesen. Die deutsche
Anwaltschaft schlägt neuerdings vor, das Jurastudium mit einer
Universitätsabschlußprüfung zu beenden. Die Ausbildung und
berufliche Eignungsprüfung für die künftigen Anwälte
sollten dann der Anwaltschaft selbst und sog. Anwaltsakademien überlassen
werden. Auch hier beruft man sich auf das gewichtige Argument des
europäischen Vergleichs.
Was leistet eigentlich ein europäischer Vergleich bezüglich
der Themen und Argumente der bisherigen Diskussion? Eine umfassende
vergleichende Untersuchung der Juristenausbildung und der Zugänge zu den
juristischen Professionen in den europäischen Ländern fehlt bis
heute. Selbstverständlich gibt es unzählige Einzeluntersuchungen zu
Teilaspekten der Geschichte und den derzeitigen Regelungen sowohl des
Universitätsunterrichts als auch der jeweiligen Berufszugänge. Was
aber vor allem fehlt, ist eine vergleichende Analyse auch der
tatsächlichen organisatorischen und sozialen Erscheinungsform der
Juristenausbildung und der Organisation der Zugänge zu den juristischen
Fachberufen. Die Rechtsvergleichung und die Rechtsgeschichte haben uns
längst gelehrt, daß ein Vergleich, beschränkt auf die
Berücksichtigung der normativen gesetzlichen Regelungen und
institutionellen Selbstbeschreibungen, unzulänglich ist und nur zu
optischen Selbsttäuschungen führen kann. Ein Vergleich muß die
historischen Zusammenhänge sowie die tatsächliche soziale Funktion
von gesetzlichen und institutionellen Regelungen miteinbeziehen. Es ist
übrigens bezeichnend für die Bürokratie der Brüsseler
Kommission, daß - soweit ich sehe - eine derartig umfassende und
wahrhaftig vergleichende Untersuchung der verschiedenen juristischen
Ausbildungs- und Prüfungsmodelle in den einzelnen Mitgliedsländern
der EU bis heute auch nicht durch die Kommission durchgeführt wurde. Die
bisherigen europäischen Strategien basieren auf einer formalen
Gleichsetzung und gegenseitigen Anerkennung der jeweiligen gesetzlichen und
institutionellen Regelungen. Rechtspolitisch war vielleicht dieser der einzige
gangbare Weg. Wissenschaftlich und selbst rechtspolitisch bleibt dies jedoch
recht unbefriedigend. Nur wenn der Vergleich die historischen Hintergründe
einer gesetzlichen Regelung und die funktionalen Zusammenhänge deren
praktische tatsächliche Anwendung miteinbezieht, kann er einen
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn darstellen und rationale Argumente für
die rechtspolitische Diskussion liefern. Darin liegt übrigens im Kern die
wissenschaftliche Aufgabenstellung der Rechtsvergleichung als juristische
Grundlagenforschung. Diesen Weg wollen wir nun gehen.
Einige Hinweise seien im voraus zum Gang meiner Überlegungen hier
angekündigt. Ich werde mich im folgenden drei Themenkomplexen widmen. In
einem ersten Abschnitt werde ich Entstehung und Entwicklung der zwei Modelle
der Juristenausbildung vorstellen, die uns die kontinentale und die englische
Rechtsgeschichte überliefert haben. Meine Beschreibung, eingebettet in
eine historische und vergleichende Analyse der jeweiligen
Entwicklungsverläufe, muß sich hier nur auf eine Skizze
beschränken. Ich werde deshalb den Schwerpunkt meiner Ausführungen
auf die wesentlichen Entwicklungsstränge und auf die auffälligsten
Strukturunterschiede legen (I).
In einem zweiten Abschnitt werde ich mich
anschließend der Frage zuwenden, inwieweit, in welchem Umfang und in
welchem Verhältnis zueinander juristische Fakultäten und
extrauniversitäre Institutionen bei der Juristenausbildung und bei der
Steuerung des Zugangs zu den juristischen Berufen in der europäischen
Rechtsgeschichte involviert und beteiligt waren und heute sind. Auch in dieser
Hinsicht sind sowohl in historischer als auch in vergleichender Sicht
erhebliche Unterschiede in Europa festzustellen, insbesondere, was die
jeweilige Relevanz einer universitären Ausbildung für den Zugang zu
den juristischen Berufen angeht. In diesem Rahmen werde ich mich insbesondere
mit den konkreten und tatsächlichen Erscheinungsformen der
Juristenausbildung befassen, insbesondere mit den historisch und strukturell
gewachsenen Unterschieden in Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen.
Hierhin gehört auch ein Einblick zu den neuen, "integrativen" Formen von
Juristenausbildung, die sich aufgrund der rechtspolitischen Entwicklung der
letzten Jahrzehnte in Europa entwickelt haben. Hierhin gehören ebenfalls
die darüber hinaus allgemein zu beobachtende Internationalisierung der
Anwaltsprofession und die Entstehung von Austauschstudiengängen und
sonstigen Kooperationen von universitären und extrauniversitären
Ausbildungsinstitutionen (II). Ein letzter Abschnitt
schließlich wird uns
abschließend mit der Frage konfrontieren, welche Erkenntnisgewinne und
welche Einsichten Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung uns im Ergebnis
eröffnet haben, vor allem bei einer kritischen Würdigung der
derzeitigen Diskussion zu einer heute vielfach geforderten Reform der deutschen
Juristenausbildung (III).
Ich wende mich nun den beiden historischen Modellen in der
europäischen Geschichte der Juristenausbildung zu. Von zentraler Bedeutung
ist hier vor allem der historische Gegensatz des kontinentalen
gemeinrechtlichen Ausbildungsmodells mit dem englischen Modell, erwachsen aus
der Geschichte des Common Law. Die Rechtsgeschichte des Civil Law und des
Common Law konfrontieren uns auch hinsichtlich der Formen und der Bedingungen
der Ausbildung des juristischen Nachwuchses und des Zugangs zu den juristischen
Professionen mit geradezu antithetischen Entwicklungs- und
Strukturverläufen.
Der kontinentale Jurist bildet sich seit den ersten Anfängen einer
Rechtsgelehrsamkeit in der Schule von Bologna an der Universität. Hier
erhält er einen Unterricht, der sich im wesentlichen auf allgemeine
Rechtsregeln und Rechtskategorien stützt, die aus den Quellentexten des
Corpus Iuris abgeleitet werden. Das
Ius Commune, das
in den kontinentaleuropäischen Universitäten seit dem 11.Jahrhundert bis zum
Ende des Ancien Régime die Unterrichtsgrundlage bildet, stellt zugleich
den wesentlichen Rahmen dar für die damalige übernationale
Ausrichtung des Rechtsunterrichts, typisch für Kontinentaleuropa seit dem
Mittelalter bis in die Neuzeit. Die Einheit der lateinischen Rechtssprache, die
gemeinsame literarischen Tradition sowie vor allem die Einheit von
Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen, sind zugleich Erklärung und
Bedingung für den beeindruckenden Austauschfluß von Studierenden und
Professoren bei den kontinentalen Fakultäten jener Jahrhunderte. Das
Rechtsstudium führte damals Studenten und Dozenten regelmäßig
über die Landesgrenzen hinaus. Die italienischen Rechtsfakultäten
zunächst, die französischen in einer zweiten Phase und die
holländischen, am Ende dieser Epoche, stellen in Wissenschaft und im
Unterricht die Modelle dar, an welchen das neuzeitliche Europa sich damals
orientierte. Der Preis für diese europäische einheitliche Ausrichtung
in der Ausbildung des kontinentalen Juristen bis zum Untergang des Ancien
Régime war, daß an der damaligen Universität der angehende
Jurist vor allem die Rechtsregeln und die Rechtsdefinitionen aus dem Ius
Commune erlernte, nicht dagegen die Normen des lokalen Rechts in der Form der
damaligen unzähligen Statuten, Rechtsgewohnheiten und Territorialgesetze,
welche er eigentlich in seiner späteren Berufspraxis primär
anzuwenden hatte. Die Rechtseinheit, die damals das Ius Commune für
Kontinentaleuropa darstellte, war also primär nicht eine Einheit der
materiell anwendbaren Rechtsregeln. Anwendbar blieb immer an erster Stelle das
Ius Proprium, das lokale Recht also in seinen zahlreichen
unübersichtlichen Zersplitterungen. Das Römische Gemeinrecht kam nur
als sekundäre Rechtsquelle in Betracht. Einheitlich waren allerdings die
Begrifflichkeit, die Denkweise und die Prinzipien, welche, aus den
römischen Quellen abgeleitet, die Grundlage der Juristenausbildung in
sämtlichen europäischen Universitäten darstellten. Der
universitäre Rechtsunterricht des römischen und des kanonischen
Rechts bildete also für die Juristen jener Zeit die Basis eines
gemeinsamen wissenschaftlichen Argumentationshaushalts. Die Statuten, die
fürstliche Gesetzgebung, die einzelnen Gewohnheitsrechte waren und konnten
nicht Unterrichtsgegenstand sein. Erst in der späteren Berufspraxis lernte
der damalige junge Rechtslizentiat die Normen des lokalen Rechts anzuwenden,
die er für seinen jeweiligen Beruf benötigte. In seiner Denkweise, in
seiner Argumentation, bei der Organisation seines Rechtswissens also, bleibt
der kontinentale Jurist zeitlebens von der an der Universität erworbenen
gemeinrechtlichen Ausbildung geprägt. Sein Selbstverständnis ist
dasjenige eines "gelehrten Juristen", nämlich eines an der
Universität ausgebildeten Wissenschaftlers.
Die Universität ist im Gegensatz dazu vollständig abwesend in der
Ausbildung des jungen englischen Juristen derselben Epoche. Ein
Rechtsunterricht, vergleichbar mit demjenigen der zeitgenössischen
französischen oder italienischen Rechtsfakultäten, kannte weder die
damalige Universität Oxford noch die Universität Cambridge. Die
damaligen Vorlesungen im Kanonischen und z.T. selbst im Römischen Recht,
die durchaus seit dem Mittelalter auch in England angeboten wurden, waren
primär nicht für diejenigen jungen Leute gedacht, die für eine
Tätigkeit an den Königlichen Gerichten in Westminster bestimmt waren.
Seit der kirchlichen Trennung Mitte des 16.Jahrhunderts wurde selbst der
Unterricht im Römischen und Kanonischen Recht an beiden englischen
Universitäten nicht mehr regelmäßig angeboten. Der englische
Jurist jener Jahrhunderte ist also nicht von der Universität geprägt,
er ist eher das Produkt der Sozialisation innerhalb der Zunft der Common
Lawyers. Der junge Rechtspraktikant erwirbt seine Sozialisation und seine
Ausbildung wie der Lehrling eines Handwerks innerhalb der Inns of Courts in
London. Hier ist es, daß die jungen Leute in die soziale Welt der
Rechtspraxis und der Berufsausübung bei den Königlichen Gerichten von
Westminster eingeführt werden. Der Gegensatz zum kontinentalen Juristen in
Prägung und Selbstverständnis kann nicht grundsätzlicher sein.
Dieser erfährt seine Initiation an das Recht erst in der theoretischen
Form des Universitätsunterrichts. Der englische Rechtspraktikant erlebt
dagegen seine Begegnung mit dem Recht in der Sozialisation einer
langjährigen Hilfstätigkeit in der Kanzlei seines Lehrmeisters und
innerhalb der eigenen Zunft.
Diese zwei Ausbildungsmodelle, deren Entwicklungsstränge hier nur
kurz skizziert werden konnten, zeigen seit Ende des 18.Jahrhunderts
Veränderungstendenzen in gegensätzliche Richtungen: Wir beobachten
einerseits die langsame Verlagerung der Ausbildung des jungen englischen
Juristen in die Universitäten; wir können zugleich feststellen,
daß die Einführung in die Berufspraxis eine allmählich
wachsende Bedeutung auch bei der Ausbildung des jungen kontinentalen
Rechtsabsolventen erhält. Bestätigung und zugleich Indiz für
diese strukturelle Veränderung liefern etwa in der englischen
Rechtsgeschichte die systematischen Vorlesungen zum Common Law, welche
Blackstone zwischen 1753 und 1765 an der Universität Oxford abhielt. Im
Jahre 1800 wurde ein Lehrstuhl für das englische Recht auch an der
Universität Cambridge errichtet. In diesen Zusammenhang gehört auch
die Einführung von zunächst allerdings nicht obligatorischen
Eignungsprüfungen im Jahre 1836; diesen sollten sich diejenigen
Universitätsabsolventen unterziehen, die an der Ausbildung als
"Solicitors" teilnehmen wollten. Weitere Reformen wurden aufgrund des
Untersuchungsberichts des "Select Committee on Legal Education" im Jahre 1846
durchgesetzt. Erst seit 1872 müssen die Bewerber um die
Eignungsprüfung für die Zulassung zur Ausbildung als Solicitors oder
Barrister nunmehr obligatorisch nachweisen, daß sie
Universitätsveranstaltungen, allerdings nicht unbedingt juristische,
besucht haben. In der Tat bieten erst seit Ende des 19.Jahrhunderts die
englischen Universitäten mit Regelmäßigkeit ein
vollständiges Programm an juristischen Vorlesungen an. In den letzten
Jahrzehnten, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, ist der Besuch einer
universitären juristischen Ausbildung sowohl in England als auch in den
anderen Ländern, die noch zu der Tradition des Common Law gehören,
eine regelmäßige und übliche Voraussetzung, um sich als junger
Absolvent an den Eignungsprüfungen für die Zulassung zur Anwaltschaft
beteiligen zu dürfen. Allerdings sind Ausnahmen davon heute noch an sich
nicht nur denkbar, sondern durchaus vorhanden. In diesem Zusammenhang ist es
übrigens erwähnenswert, daß neuere rechtshistorische
Forschungen zu diesem Thema deutlich gemacht haben, daß die genannten
damaligen Reformen der Rechtsausbildung in England nicht unbeträchtlich
durch die Ausbildungsmodelle beeinflußt wurden, welche in derselben Zeit
an den amerikanischen Law Schools, insbesondere in Harvard, entwickelt worden
waren. Noch bedeutsamer scheint bei diesen Reformen der Einfluß der
damaligen deutschen juristischen Fakultäten gewesen zu sein. Die
theoretische und systematische didaktische Prägung, welche damals die
historische Rechtsschule der deutschen Juristenausbildung gab, wirkte sich
offenbar auch in der Welt des Common Law aus. Man denke etwa daran, daß
es französische und deutsche Lehrbücher des Pandektenrechts waren,
die damals die Vorbilder lieferten für die in der universitären
Ausbildung benötigten, der älteren englischen Rechtsliteratur
eigentlich unbekannten systematischen Darstellungen des Vertragsrechts des
Common Law. Noch eindrucksvollere Beweise für diesen kontinentalen
Einfluß auf die anglo-amerikanische Juristenausbildung liefern gerade die
Entwicklung und die pädagogische Ausrichtung der amerikanischen Law
Schools Mitte des 19.Jahrhunderts. Die amerikanischen Rechtshistoriker haben
hier im einzelnen gezeigt, wie nachhaltig der Einfluß der deutschen
historischen Rechtsschule bei der Entwicklung der amerikanischen
Rechtswissenschaft im 19.Jahrhundert gewesen ist. Das gemeinrechtliche Modell
einer transnationalen Juristenausbildung, orientiert an wissenschaftlichen
Inhalten und nicht an den Besonderheiten des lokalen Rechts, fand in der Tat
seit Mitte des 19.Jahrhunderts eine bewußte Fortsetzung bei den Reformen
von Christopher Langdell bei der Law School in Harvard. Bis heute bieten die
amerikanischen Law Schools eine Juristenausbildung, welche im wesentlichen
nicht um das Recht der einzelnen Staaten zentriert ist, sondern vor allem um
die allgemeinen, gemeinsamen Prinzipien eines "amerikanischen Rechts".
Zutreffend ist insoweit bemerkt worden, daß das amerikanische Recht im
Kern als eine "pädagogische Schöpfung" aus dieser
Ausbildungstradition entstanden ist.
In Kontinentaleuropa kann man in derselben Epoche eine gegenteilige Entwicklung
beobachten. Bereits seit Anfang des 18.Jahrhunderts wird der traditionelle
Rechtsunterricht auf der Basis des Römischen Gemeinen Rechts
allmählich durch zunehmende Lehrangebote auf dem Gebiet des sich
entwickelnden "Ius Patrium" verdrängt. Indizien für eine solche
Strukturveränderung im Rechtsunterricht sind in ganz Europa zu beobachten:
Man denke etwa an die Lehrstühle und an die obligatorischen Vorlesungen
für das "Droit Franais", welche im 18.Jahrhundert an den
französischen Rechtsfakultäten eingeführt wurden; dasselbe gilt
etwa für die Veranstaltungen zum "Ius Camerale" an den damaligen
Fakultäten im Alten Reich. In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts
stellten nunmehr die nationalen Gesetzbücher, etwa der französische
Code Civil, seine italienischen Übersetzungen oder der
österreichische ABGB den Schwerpunkt in der Gestaltung des
Rechtsunterrichts in den jeweiligen Ländern dar. Bei näherem Hinsehen
zeichnet sich die Ablösung der gemeinrechtlichen Tradition in
Kontinentaleuropa primär also nicht als eine inhaltliche Veränderung
der traditionellen Regeln und Prinzipien aus dem römischen
Vermögensrecht ab; sie wird vielmehr indiziert durch eine neue Denk- und
Argumentationsweise der kontinentalen Juristen, orientiert an der neu
gewonnenen Bindung an den Gesetzestext, welche im Kern gerade durch die
beschriebene Umstellung des Rechtsunterrichts eingeleitet wurde. Eine einsame
Ausnahme stellen zu jener Zeit die deutschen Rechtsfakultäten dar. Bei
ihnen bildete das Römische Gemeine Recht noch die zentrale Grundlage
für den Rechtsunterricht bis Ende des Jahrhunderts. Die Vermittlung in der
universitären Ausbildung der Prinzipien und der Regeln des Pandektenrechts
stellt daher für das Deutschland des 19.Jahrhunderts die funktionale
Alternative zu der damals noch fehlenden Nationalkodifikation dar. Die
transterritoriale Ausrichtung der Rechtsausbildung bleibt in Deutschland also
in Fortsetzung der gemeinrechtlichen Tradition weiterhin noch die Grundlage
für die Einheit von Wissenschaft und Praxis bis 1900.
Eine noch einschneidendere weitere Strukturveränderung läßt
sich in jenen Jahrzehnten in Kontinentaleuropa allerdings auch beobachten: In
fast allen kontinentaleuropäischen Ländern stellt der Besuch einer
Universität am Ende des Ancien Régime nicht mehr an sich eine
allein ausreichende Bedingung dar, um Zugang zu einer juristischen Profession
zu erlangen. Das ständische Selbstverständnis, typisch für die
Juristen in der vormodernen europäischen Gesellschaft der Neuzeit, weicht
nunmehr einer zunehmenden Professionalisierung. Dies gilt zunächst vor
allem für den Zugang zur Richterschaft oder für die Aufnahme in die
damals sich herausbildende staatliche Verwaltung. Prüfungen zur Kontrolle
der professionellen beruflichen Eignungen werden in zahlreichen kontinentalen
Ländern die Regel. Exemplarisch für eine solche Entwicklung sind die
deutschen Territorien in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts: Richter
und Verwaltungsbeamter durfte nur derjenige Universitätslizentiat werden,
der sich einer Vorbereitungspraxis unterworfen und vor allem spezifische,
staatlich organisierte und beaufsichtigte Eignungsprüfungen abgelegt
hatte. Das Reichskammergericht kannte bereits die sog. Proberelationen.
Prüfungen solcher Art sind im 18.Jahrhundert in den deutschen Territorien
die Regel. Vorbild für diese "duale" Form der Juristenausbildung ist das
Modell des preußischen Referendariats: nach dem Universitätsbesuch
hat der junge Lizentiat noch als Praktikant eine langwierige und intensive
Beschäftigung mit der Berufspraxis zu absolvieren; Organisation und
Beaufsichtigung dieser praktischen Ausbildungsphase obliegt der staatlichen
Justizverwaltung, ist bürokratisch genauestens geregelt und wird durch die
Abhaltung von mehreren Staatsprüfungen kontrolliert und gesteuert. Diese
werden ausschließlich von Mitgliedern der Gerichte und der staatlichen
Verwaltungen abgenommen. Die Universitäten und die Vertreter der
universitären Wissenschaft sind im preußischen Referendariat von
einer solchen Kontrolle der juristischen Berufseignung nunmehr vollständig
ausgeschlossen.
Die Juristenausbildung in den kontinentalen Ländern bleibt bis
heute weitgehend von der beschriebenen historischen Entwicklung geprägt.
In nahezu allen Ländern ist das Universitätsstudium zwar eine
notwendige, aber nicht eine ausreichende Bedingung für den Zugang zu den
juristischen Professionen. Nur in Spanien - bis zu einer angekündigten,
bis heute allerdings wegen der Standeswiderstände noch nicht
verwirklichten Reform - ist es für den jungen Rechtslizentiaten noch
möglich, sich unmittelbar nach dem Universitätsbesuch als Anwalt
niederzulassen. In dieser Hinsicht ist Spanien also das letzte Land, wo dieses
Moment der vormodernen europäischen Gesellschaft der Neuzeit fortlebt.
Allerdings bleiben die Unterschiede zwischen den jeweiligen kontinentalen
Ländern im einzelnen mehr als beträchtlich. Das deutsche Modell, das
ohne wesentliche Strukturunterschiede seit dem 19.Jahrhundert bis heute im Kern
unverändert besteht, hat praktisch die Universität aus der
Juristenausbildung weitgehend verdrängt. Entscheidend ist hier nicht nur
das Fehlen eines Universitätsabschlußexamens seit der
preußischen Zeit - wenn man von den akademischen Graduierungen absieht -,
sondern vor allem, daß bis heute Prüfungen und sonstige Leistungen
während der Universitätskarriere keine Berücksichtigung bei der
Bewertung des ersten Staatsexamens finden. Die fehlende Bedeutung einer
universitären Abschlußprüfung entfremdete, wie wir sehen
werden, die deutschen Rechtsfakultäten bereits im 19.Jahrhundert von der
tatsächlichen Realität der Juristenausbildung. Dieses System hat sich
in Deutschland außerhalb Preußens nur sukzessiv durchgesetzt; in
Sachsen etwa wurde eine juristische Staatsprüfung für die
Universitätsabsolventen erst im Jahre 1861 eingeführt.
Spätestens mit den Reichsjustizgesetzen von 1878 galt das preußische
System des Staatsexamens und des Referendariats in nahezu allen deutschen
Territorien. Eine Beschreibung dieses Modells, das in Deutschland bis heute
weitgehend unbestritten geblieben ist, ist hier nicht erforderlich. Einige
wesentliche Strukturelemente seien allerdings in Erinnerung gerufen: das
Universitätsstudium wird nicht durch eine Universitätsprüfung -
in welcher Form auch immer -, sondern durch eine Staatsprüfung
abgeschlossen; diese Staatsprüfung wird durch die Justizverwaltungen der
Länder abgenommen und beaufsichtigt, wobei die Prüfer weitgehend von
der Richterschaft und von den Verwaltungsbeamten gestellt werden. Für alle
Absolventen dieser ersten Staatsprüfung schließt sich einheitlich
eine zweite Phase der praktischen Ausbildung im Rahmen des Referendariats an,
welche ausschließlich von der Justizverwaltung organisiert und beschickt
wird; am Ende dieser praktischen Ausbildungsphase findet eine zweite
Staatsprüfung statt, welche ebenfalls von der Justizverwaltung abgehalten
wird. Die Einheitlichkeit und die Staatsorientierung sind also die zwei
wesentlichen Merkmale dieses Systems, das aus der preußischen
Juristenausbildung übernommen wurde: sämtliche Juristen haben sich
ungeachtet der unterschiedlichen Berufsausgänge diesen
Staatsprüfungen zu unterziehen, und die praktische Ausbildung findet im
rechtlichen und organisatorischen Rahmen der staatlichen Justizverwaltung
statt.
Das deutsche System ist in der beschriebenen Form einmalig in Europa. Hier
wäre an sich allerdings noch zu erwähnen, daß auch
Österreich eine - jedoch erheblich kürzere - praktische
Ausbildungsphase unter staatlicher Aufsicht nach der
Universitätsprüfung kennt, und daß Schweden ebenfalls eine
zweite, staatlich organisierte Praktikantenzeit kennt, welche bereits z.Zt.
ihrer Einführung weitestgehend nach dem preußischen
Referendariatsmodell gestaltet wurde. Das preußische Qualifikationsmodell
des Staatsexamens und dessen Ansiedlung bei der Justizverwaltung ist für
die Funktionsstellung und Selbstdefinition der deutschen Rechtsfakultäten
in bezug auf die Juristenausbildung auch nicht folgenlos geblieben. Bereits
Anfang des 19.Jahrhunderts wird sichtbar, daß das Lehrangebot der
Fakultäten keinesfalls mit den Inhalten der Referendariatsprüfung
korreliert. Daraus ergibt sich als bemerkenswerte Folge, daß die
Rechtskandidaten ihre Examensvorbereitung schon damals, ebenso wie heute, im
wesentlichen außerhalb der Universität bei privaten Rechtsschulen,
den sog. Repetitorien, erhielten. "Kein Lehrplan erwähnte sie" - ist
kürzlich zutreffend in einer Geschichte der Anwaltschaft geschrieben
worden - "jedermann wußte aber von dieser privatwirtschaftlichen
Bildungseinrichtung". Dieses Problem war bereits im 19.Jahrhundert den
zeitgenössischen Juristen mehr als bewußt und erweckte übrigens
bei den damaligen ausländischen Besuchern deutscher Rechtsfakultäten
beträchtliches Staunen. Hier könnte man etwa die Auseinandersetzungen
in Erinnerung rufen zwischen der juristischen Fakultät in Berlin z.Zt. von
Friedrich Carl von Savigny und dem preußischen Justizprüfungsamt,
der sich damals gerade darüber beschwerte, daß das ALR, immerhin das
damalige preußische geltende Recht, kaum in den Vorlesungen angeboten
wurde. In der Tat hat beispielsweise Savigny das ALR außerordentlich
selten gelesen. Das System des Staatsexamens führte übrigens
umgekehrt auch zu einem besonderen Selbstverständnis der Fakultäten
selbst. Als im Jahre 1865 in Dresden das damalige Sächsische
Zivilgesetzbuch in Kraft gesetzt wurde, versuchte beispielsweise der damalige
sächsische Justizminister vergebens, von der juristischen Fakultät
Leipzig eine Umstellung des Studienplanes auf die neue Gesetzgebung zu
erreichen. Interessant ist hier die Begründung, mit welcher der damalige
Dekan, Carl Georg von Wächter, einer der berühmtesten Pandektisten
seiner Zeit, diese Ablehnung rechtfertigte: Die juristische Fakultät
Leipzig sei vor allem eine "deutsche Rechtsfakultät". Ihre Aufgabe liege
darin, "das Recht als Wissenschaft überhaupt zu entwickeln und zum
Begreifen zu bringen, und, was das positive Recht betrifft, das in Deutschland
überhaupt zur Geltung gekommene positive Recht und seine Grundlagen zu
lehren". Es ist bezeichnend, daß damals das Justizministerium in Dresden
sich nicht durchsetzen konnte und eine Umstellung des Unterrichts zum neuen
Gesetzbuch nicht zustandekam. Ähnliche Diskussionen fanden auch nach
Inkrafttreten des BGB statt. Das Phänomen der privaten Rechtsrepetitorien,
im europäischen Ausland übrigens kaum bekannt, offenbart ein
wesentliches Strukturelement der derzeitigen deutschen Juristenausbildung,
dessen Berücksichtigung unverzichtbar ist, will man die reellen
Dimensionen des deutschen Rechtssystems tatsächlich erfassen. Wie
nachhaltig sich das preußische Juristenausbildungsmodell in Deutschland
durchgesetzt hat, wird sichtbar, wenn man bedenkt, daß die Mehrzahl der
Rechtsfakultäten und Hochschullehrer heute das System des Staatsexamens
voll verinnerlicht hat und die Existenz der privaten Repetitorien als
selbstverständlich hinnimmt.
Ich habe bereits erwähnt, daß das deutsche System eines
einheitlichen Staatsexamens nach dem Universitätsstudium und als
Abschluß von diesem an sich in Europa einmalig ist. Es wäre jedoch
eine naive Verkürzung anzunehmen, daß ähnliche
Strukturverschiebungen zwischen universitärer und nichtuniversitärer
Juristenausbildung in den übrigen kontinentalen Ländern in den
vergangenen zwei Jahrhunderten überhaupt nicht stattgefunden haben. Das
Gegenteil ist der Fall: in nahezu allen kontinentalen Ländern hat heute
der junge Jurist nach dem Universitätsbesuch noch als Praktikant eine
mehrjährige, langwierige und intensive Beschäftigung mit der
Berufspraxis zu absolvieren; Organisation und Beaufsichtigung dieser
praktischen Ausbildungsphase obliegt auch hier nicht den Universitäten,
sondern der staatlichen Justizverwaltung und häufig - im Gegensatz zu
Deutschland, wo die Anwaltschaft traditionell bei den staatlichen
Justizprüfungsämtern wenig beteiligt wurde und noch wird - auch den
Rechtsanwaltskammern. Heute wird diese praktische Ausbildung überall
kontrolliert und gesteuert durch die Abhaltung von Eignungsprüfungen, die
fast ausschließlich von Mitgliedern der Gerichte und der Anwaltschaft
abgenommen werden. Die Universitäten und die Vertreter der
universitären Wissenschaft sind meistens vollständig ausgeschlossen
von einer solchen Kontrolle der juristischen Berufseignung. In Italien etwa
sind die Professoren, die an solchen Prüfungen teilnehmen, selbst
Mitglieder der Anwaltschaft und nur in dieser Eigenschaft Prüfer. In den
Diskussionen zu einer Reform der deutschen Juristenausbildung, die in
Deutschland gerade zur Zeit geführt werden, wird gelegentlich behauptet,
daß die übrigen kontinentalen Länder ein Staatsexamen für
Juristen nicht kennen. Richtig ist hier nur die Beobachtung, daß in
keinem europäischen Land die universitäre Juristenausbildung ohne
eine universitäre Prüfung abgeschlossen wird. Ein realistischer
Vergleich zeigt allerdings zugleich, daß das deutsche Staatsexamen
funktional Entsprechungen in nahezu sämtlichen kontinentalen Ländern
findet, häufig in der Form von unter staatlicher Aufsicht
durchgeführten Eignungsprüfungen für den Zugang zu einer
bestimmten juristischen Profession. Eine solche Eignungsprüfung kann auf
verschiedene Weise innerhalb der Ausbildungskarriere plaziert werden: sie kann
etwa am Anfang liegen, als Eingangsprüfung bei der Zulassung zu einem
bestimmten professionellen Vorbereitungsdienst, so etwa bei den
Zugangsprüfungen in Frankreich zur Ecole Nationale de la Magistrature oder
den vergleichbaren Concorsi in Italien, um als auditore giudiziario zur
Richterausbildung zugelassen zu werden; eine Eignungsprüfung kann auch am
Ende einer praktischen Ausbildungsphase vorgesehen werden, etwa beim
Anwaltsexamen in Italien, aufgrund dessen eine Berechtigung erworben wird, um
sich als Anwaltsanwärter niederlassen zu können. Ein
Strukturunterschied zum deutschen System läßt sich überall
allerdings in doppelter Hinsicht festhalten: Zunächst sind solche
Eignungsprüfungen, die sich in der Sache selbst, in der Organisation,
häufig auch in der Zusammensetzung des Prüfungspersonals und vor
allem in den gestellten Anforderungen sich kaum von den deutschen Staatsexamina
unterscheiden, den Universitätsabschlußprüfungen zeitlich und
organisatorisch nachgeschaltet. Zum zweiten fehlt es an der Einheitlichkeit der
praktischen Ausbildungsphase und der damit verbundenen Eignungsprüfung. Im
Gegensatz zum deutschen Assessorexamen sind in allen kontinentalen Ländern
die genannten Eignungsprüfungen je nach Berufsausgang - etwa Aufnahme in
die Justiz, in die Verwaltung, in die Anwaltschaft, in das Notariat -
unterschiedlich strukturiert, sowohl was das Prüfungspersonal, als auch
vor allem was Prüfungsinhalte und Anforderungen angeht. Ein realistischer
Vergleich der kontinentalen Ausbildungssysteme mit dem deutschen System des
Referendariats macht also deutlich, daß auch in den übrigen
Ländern die universitäre Juristenausbildung heute zwar eine
notwendige, aber auf keinen Fall eine ausreichende Bedingung für den
Zugang zu einer klassischen juristischen Profession geblieben ist. Die
Ausschaltung der juristischen Fakultäten von der Steuerung des Zugangs zu
den juristischen Fachprofessionen ist hier sogar deutlicher als in Deutschland
selbst. Ich denke etwa an die personelle Zusammensetzung der
Prüfungskommissionen bei solchen Examina, wo Hochschullehrer noch seltener
als im deutschen Staatsexamen vertreten sind; in Italien etwa sind
Universitätsprofessoren bei den Anwalts- und Richterprüfungen, die
unter der organisatorischen Aufsicht der Appellationsgerichte und des
Justizministeriums in Rom stattfinden, selten beteiligt und dann auch nur, wenn
sie - wie bereits erwähnt - selbst zur Anwaltschaft gehören.
Bemerkenswert ist ferner auch der Umstand, daß es in den romanischen
Ländern zu diesem beschriebenen Modell von Eignungsprüfungen erst in
einer relativ jüngeren Zeit gekommen ist. Im Gegensatz zum
preußischen System des Referendariats kannten die meisten romanischen
Länder in der Tat im 19.Jahrhundert diese Form der Professionalisierung
der Juristen, vor allem für die Anwaltschaft, nicht. Selbst für die
Zulassung zur Justiz waren in Frankreich oder in Italien im 19.Jahrhundert
keine mit den heutigen vergleichbare Prüfungen vorgesehen. Bis in dieses
Jahrhundert hinein reichte in Frankreich für die Aufnahme in das Barreau
schon eine mehrmonatige "stage". Die Anwaltskammern in den italienischen
präunitarischen Staaten prüften zwar die Aufnahmekandidaten, aber
solche Prüfungen "behielten stärker" - ist geschrieben worden - "eher
den Charakter eines Aufnahmerituals". Noch heute kann übrigens ein
spanischer Universitätsabsolvent - wie bereits erwähnt - nach
Ablegung des Universitätsstudiums sich unmittelbar als Anwalt
niederlassen. Das System, wonach das Universitätsstudium allein ausreicht
für den Eingang in die praktische Rechtsprofession, ist allerdings ein
Modell, das heute offenkundig der Vergangenheit angehört. Ein historischer
Vergleich der Gesetzgebungsgeschichte zum Anwaltsberuf in den romanischen
Ländern oder der gesetzlichen Regelungen der Aufnahme in die Justiz zeigt
uns, daß im Laufe unseres Jahrhunderts die Gesetzgeber in den romanischen
Ländern hierfür immer präzisere und höhere
Prüfungsanforderungen vorgesehen haben. So wurden beispielsweise
staatliche Eignungsprüfungen für die Zulassung als
Anwaltsanwärter in Italien erstmals 1926 eingeführt; die
Anforderungen an solche Prüfungen wurden in den darauffolgenden
Jahrzehnten immer wieder, zuletzt bei der Novellierung der Anwaltsgesetzgebung
1988 und 1990, verschärft. Am Appellationsgericht Mailand liegen die
Durchfallquoten heute zwischen 80 und 90 %. Die "concorsi" für die
Aufnahme in die Justiz und vor allem diejenigen für die Aufnahme in das
Notariat, gelten als unüberwindbar. Ähnliche Verläufe der
Berufsgesetzgebung sind auch in anderen romanischen Ländern zu beobachten.
So kennt Frankreich erst seit 1941 den Certificat d'Aptitude à la
Profession d'Avocat (CAPA). Für die Aufnahme in die dafür
vorgesehenen Vorbereitungskurse ist seit 1980 eine Eignungsprüfung
vorgesehen, deren Rigorosität als zunehmend selektiv beschrieben wird. Als
noch schwieriger gelten die Aufnahmeprüfungen an der Ecole Nationale de la
Magistrature in Bordeaux.
Die Effizienz der beschriebenen Systeme einer praktischen juristischen
Vorbereitungszeit mit Eignungs- und Zugangsprüfung nach dem
Universitätsexamen variiert verständlicherweise von Land zu Land.
Eine staatliche Besoldung der Rechtspraktikanten existiert in keinem
europäischen Land in einer vergleichbaren Form wie für das deutsche
Referendariat. In den meisten kontinentalen Ländern, vor allem in den
romanischen Ländern, ist diese praktische Ausbildungsphase der privaten
und so auch der wirtschaftlichen Initiative der Betroffenen überlassen.
Dies gilt vor allem für die Anwaltsausbildung. In Spanien scheint es sogar
üblich zu sein, daß der frische Universitätsabsolvent, der sich
eigentlich gleich als Anwalt niederlassen könnte, selbst ein Honorar
zahlt, um in besonders gut eingeführten Kanzleien in die Praxis begleitet
zu werden. Die Diskussionen, die in manchen romanischen Ländern zur
Anwaltsausbildung geführt werden, erwecken übrigens auch den
Eindruck, daß die beschriebenen Eignungsprüfungen nicht immer frei
von berufsständischen Interessen bleiben. In der Tat sind die, vielleicht
sogar übertriebenen, rechtsstaatlichen Garantien, welche das deutsche
juristische Staatsexamen auszeichnet, in ähnlicher Form in den romanischen
Ländern keinesfalls selbstverständlich. Für deren Bestehen sind
die Universitätsabschlüsse übrigens offenkundig längst
nicht ausreichend. Der deutsche Zuhörer wird mit Vergnügen vernehmen,
daß in Mailand z.B. ehemalige Richter private und kostspielige
Vorbereitungsschulen unterhalten, deren Besuch für die
Prüfungskandidaten offenbar als unverzichtbar angesehen wird, und deren
Angebot - ohne daß dies den Beteiligten im geringsten bewußt ist -
sich kaum von den deutschen Repetitorien unterscheidet. Der Vergleich macht
deutlich, daß die kontinentalen Ausbildungsmodelle sich bei realistischer
Betrachtung funktional viel näher stehen, als mancher deutsche
Rechtspolitiker heute glauben mag. Es ist insoweit hier nicht
überraschend, daß in Spanien und in Italien ausgerechnet das
deutsche Referendariat, das in Deutschland z. Zt. heftig kritisiert wird, heute
gerade als Vorbild für geplante Reformen angesehen wird.
In der Methode des Rechtsunterrichts war in den kontinentalen
Rechtsfakultäten der gemeinrechtlichen Zeit seit den ersten Anfängen
in Bologna im 11. und 12.Jahrhundert die mündliche "lectura"
pädagogisches Modell und Vorbild : Der Dozent diktierte den Text eines
Fragments des Corpus Iuris, den sog. casus legis, und die dazu
überlieferte Kommentierung; die Aufgabe des jungen Lernenden bestand im
wesentlichen darin, die Texte der römischen Quellen zusammen mit den in
den Kommentierungen formulierten Rechtsregeln und Rechtsprinzipien
mitzuschreiben und auswendig zu lernen. Die Schriften aus dem 16. oder
17.Jahrhundert mit Ratschlägen zum Studium betonen einstimmig die zentrale
Bedeutung des Memorierens von Rechtsdefinitionen und Rechtsregeln. "Repetitio
mater studiorum" hieß damals die pädagogische Hauptregel; "memoriae
mandare textus notabiliores" lautet bezeichnenderweise der Ratschlag, welchen
der spanische Kanonist Juan Alfonso de Benavente in einer Schrift den damaligen
Studenten gibt. Eine heute für uns kaum vorstellbare Beherrschung des
Textes der römischen Rechtsquellen steht also im Zentrum dieser
pädagogischen Unterweisungstradition. Auch die Disputationen, welche
insbesondere an den deutschen und holländischen Rechtsfakultäten aus
der Zeit des Usus modernus üblich waren, und welche traditionell vor der
Drucklegung erst mündlich abgehalten wurden, boten den Kandidaten vor
allem Gelegenheit zu zeigen, wie sicher sie die Texte, Regeln, Definitionen,
Prinzipien und sonstige Themen aus dem unübersehbaren
Argumentationshaushalt der damaligen gemeinrechtlichen Literatur zu beherrschen
wußten. Diese pädagogische Unterrichtstradition bleibt typisch und
im Kern unverändert für alle kontinentalen Rechtsfakultäten bis
in das 18.Jahrhundert hinein. Die englischen Rechtshistoriker, die die Arbeit
und den Unterricht an den Inns of Courts der damaligen Zeit untersucht haben,
haben übrigens gezeigt, daß auch dort das Memorieren im Zentrum der
Ausbildung stand: Unterrichtsmaterial war dort das Fallmaterial der privaten
Reports, deren allmähliche Entstehung im 16.Jahrhundert nicht zuletzt
gerade auf diese pädagogische Ausbildungsfunktion auch zurückgeht.
Die Nationalisierung der Rechtsquellen, welche am Ende des 18.Jahrhunderts in
Kontinentaleuropa mit den neuen Kodifikationen eingeleitet wurde und die die
gemeinrechtliche Wissenschaft abschloß, stellt auch für Methode und
Form der Unterweisung von Rechtsstudenten und Absolventen eine wesentliche
Zäsur dar. In den meisten kontinentalen Ländern, vor allem in
Frankreich und in Österreich, wird nunmehr der Rechtsunterricht um die
neuen Gesetzbücher zentriert und organisiert. Nicht nur die Inhalte,
sondern auch und vor allem die Sprache und die Methode des Rechtsunterrichts
beginnen sich damit national auszudifferenzieren. Es ist gerade diese
Ausdifferenzierung, die zugleich die Auflösung der europäischen
Einheit der gemeinrechtlichen Wissenschaft einleitet.
Mit der Wiedereinführung des Rechtsunterrichts nach der
Revolutionszeit und mit der Gründung der ersten französischen
Rechtsfakultäten z.Zt. von Napoleon beginnt nicht nur für Frankreich,
sondern für einen großen Teil Kontinentaleuropas ein neues Kapitel
in der Geschichte der Juristenausbildung. Die französischen
Fakultäten stellten nämlich in den folgenden Jahrzehnten ein Vorbild
für den Rechtsunterricht dar, der nachhaltig das Rechtsstudium in allen
romanischen Ländern prägte, sowohl was die Inhalte als auch vor
allem, was Unterrichts- und Prüfungsmethode angeht. Die Unterweisung an
den französischen Rechtsfakultäten in der ersten Hälfte des
19.Jahrhunderts offenbart bezeichnende Kontinuitäten zum Unterrichtsstil
aus der gemeinrechtlichen Zeit. Der mündliche Vortrag des Dozenten,
begleitet häufig durch ein Diktat, steht im Zentrum des Rechtsunterrichts.
An die Stelle der römischen Quellen sind allerdings nunmehr die Artikel
der neuen Gesetzgebung getreten, die Gegenstand des mündlichen Vortrags
und der am Textwortlaut orientierten Erläuterungen sind. Die exegetische
Ausrichtung der französischen Rechtsliteratur in der ersten Hälfte
des 19.Jahrhunderts findet eine ihrer wesentlichen historischen
Erklärungen gerade in der hier beschriebenen Unterrichtstradition. Die
Mündlichkeit beherrscht in dieser Tradition nicht nur den Unterricht,
sondern vor allem auch das Prüfungswesen: Von den Studenten wurde im
wesentlichen die mnemonische Beherrschung des Gesetzestextes des Code verlangt.
Die von der französischen exegetischen Schule geprägte
Unterrichtsmethode wirkte zusammen mit der Ausstrahlungskraft des
französischen Rechts und der französischen Rechtsliteratur in einem
großen Teil von Süd- und Westeuropa bis in unser Jahrhundert hinein.
Selbstverständlich braucht hier nicht gesagt zu werden, daß fast
zweihundert Jahre nach den Cours von Toullier und Duranton der Rechtsunterricht
in Frankreich oder Italien heute anders aussieht. Meine skizzenhafte Analyse
will und kann hier nur die auffallendsten Strukturmerkmale herausstellen: In
der Tat erinnern uns manche Erscheinungsformen des Rechtsunterrichts in den
romanischen Ländern - ich denke etwa an meine eigenen studentischen
Erinnerungen - bis heute an diesen historischen Hintergrund: die beherrschende
Stellung etwa der Mündlichkeit im Unterricht und vor allem im
Prüfungswesen; der abstrakte, mehr oder minder theoretische Charakter der
Unterweisung in dem Rechtsstoff; der repetitive Charakter der
Prüfungsanforderungen in den Universitätsexamina. Dies gilt etwa
insbesondere für Spanien und Italien, wo das alte französische
Unterrichtsmodell heute noch eher fortlebt als in Frankreich selbst. Damit wird
auch die Funktion verständlich, welche die bereits oben erwähnten
privaten Vorbereitungsschulen für die Kandidaten der italienischen
"concorsi" erfüllen: die Anforderungen der professionellen
Aufnahmeprüfungen, die meistens in der Anfertigung eines Rechtsgutachtens
oder eines sonstigen schriftlichen Rechtsaktes bestehen, stellen die Bewerber,
die solche Aufgaben in der Universität nie erlebt haben, vor
unüberwindliche Schwierigkeiten, wofür eine spezifische, häufig
mehrjährige, Vorbereitung - bezeichnenderweise selbst nach Ansicht der
Prüfer - als unerläßlich angesehen wird. Die beschriebene
Veränderung des Rechtsunterrichts Anfang des 19.Jahrhunderts ist
allerdings keinesfalls nur für Frankreich typisch. Mit der Einführung
des ABGB kann man auch in Österreich eine ähnliche Umstellung der
universitären Lehrveranstaltungen beobachten. Bis zu den grundlegenden
Reformen nach der Revolution von 1848 kennen auch die österreichischen
Territorien genauso wie Frankreich eine exegetische Rechtsliteratur und einen
exegetisch ausgerichteten Rechtsunterricht.
Neben dem oben beschriebenen begegnen wir in Kontinentaleuropa
einem weiteren pädagogischen Modell der Rechtsunterweisung. Es handelt
sich um eine Unterrichtsform, welche die deutschen Universitäten bereits
im 18. und 19.Jahrhundert kannten, und welche heute den Rechtsunterricht in
Deutschland und z.T. auch in anderen deutschsprachigen Ländern weitgehend
beeinflußt. Neben der mündlichen Vorlesung, die damals theoretisch
abstrakt und nach zahlreichen biographischen Erinnerungen von Zeitgenossen
häufig recht langweilig ausfiel, kommen hier zwei weitere
Unterrichtsformen hinzu: die Anfertigung von schriftlichen Rechtsgutachten
sowie die Vorbereitung von schriftlichen Stellungnahmen zu umstrittenen
rechtswissenschaftlichen Fragen und Fällen. Diese Form der Unterweisung,
die in den deutschen Fakultäten des 19.Jahrhunderts neben den
theoretischen Pandektenvorlesungen eher im Hintergrund blieb, existiert bereits
im 18.Jahrhundert: Wir begegnen Fallübungen, Disputationen und Relatorien
bereits im Lehrangebot der damaligen deutschen Rechtsfakultäten. In der
Form von Übungen und Klausurenkursen beherrschen sie heute noch den
Rechtsunterricht an deutschen Rechtsfakultäten und nehmen in der
praktischen Ausbildungsrealität ein größeres Gewicht als die
traditionelle mündliche Vorlesung ein. Die Schriftlichkeit und die
Beherrschung der Technik zur Anfertigung von schriftlichen Gutachten steht hier
im Vordergrund, und dies macht verständlich, daß gerade darin auch
die beherrschende Form der Prüfungen in den oben erwähnten
Staatsexamina und Referendarprüfungen liegt. Diese Form des
Rechtsunterrichts an deutschen Fakultäten geht übrigens weit
über das 19.Jahrhundert hinaus bis in die gemeinrechtliche Zeit
zurück: Bereits im 18.Jahrhundert begegnen wir an den Universitäten
Halle und Göttingen schriftlichen Disputationen und Kursen zur
"Referierkunst", nämlich zu der Technik der Anfertigung von
Aktenrelationen und schriftlichen Gutachten. Es handelt sich um einen Aspekt
dessen, was in einer besonders erhellenden Untersuchung vor einigen Jahren als
Tradition der "praktischen Jurisprudenz" bezeichnet wurde. Andernorts habe ich
gezeigt, daß diese Ausbildungstradition, in welcher der Schwerpunkt bei
der Vermittlung von argumentativen Kunstregeln in der Anfertigung von
Rechtsgutachten und Relationen liegt, auf eine alte, bis in die Zeit des
Reichskammergerichts zurückreichende Ausbildungspraxis zurückgeht.
Ohne daß dies heute den Studenten und Referendaren bewußt ist,
leben die Kunstregeln, welche die Praktiker am Reichskammergericht seit dem
16.Jahrhundert zur Anfertigung eines Rechtsgutachtens oder einer Aktenrelation
befolgten, bis heute in den Anleitungsbüchern zur sog. Klausur- und
Relationstechnik fort. Diese praktische Seite der gemeinrechtlichen Tradition,
bedingt im 19.Jahrhundert wohl auch durch die Existenz des Referendariats, lebt
übrigens z.T. bis heute auch in der Unterrichtsform mancher privater
Repetitoren fort. Es ist hier erwähnenswert, daß namhafte Vertreter
der deutschen Pandektistik und der deutschen Zivilistik sowohl im 19. wie auch
in diesem Jahrhundert in dieser Form des praktischen Rechtsunterrichts durchaus
engagiert waren: So wurden Sammlungen von praktischen Rechtsfällen
immerhin von Gelehrten des Ranges von Puchta, Ihering oder Stölzel
publiziert; die Einführung von regelmäßigen Übungen im
Bürgerlichen Recht in einer Form, welche im Kern bis heute fortbesteht,
geht auf Zitelmann zurück und wurde damals übrigens mit Bewunderung
aus dem Ausland beobachtet. Diese praktisch ausgerichtete Unterrichtsform hat
vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg das Lehrangebot an deutschen
Fakultäten nachhaltig beeinflußt. So konnte bereits vor 30 Jahren
etwa bei den damaligen Reformdiskussionen rückblickend festgestellt
werden: "an die Stelle der dogmatischen Entfaltung und systematischen
Einordnung der Norm ist immer mehr die Sachverhaltsanalyse getreten, die vom
Examen her inzwischen auch das Studium dominiert". Damit verbunden ist auch
eine inzwischen unüberschaubare Flut von pädagogischer
Anleitungsliteratur, welche zwar im europäischen Ausland weitgehend
unbekannt ist, aber dennoch unverzichtbar bleibt für eine realistische
Beschreibung des heutigen deutschen Rechtssystems. Die Ausrichtung der
Rechtsausbildung auf die fallbezogene Gutachtentechnik, vor allem die damit
verbundenen gelegentlichen Übertreibungen, werden heute in Deutschland
zunehmend kritisch bewertet. Den Kritikern ist hier uneingeschränkt
zuzugeben, daß diese Fallbezogenheit des Rechtsunterrichts in der
Massenpädagogik der letzten 25 Jahre häufig zu einer geistlosen,
mechanisch wiederholten Arbeitstechnik degradiert ist. Eine nicht geringe
Verantwortung daran trägt auch die kommerzielle Trivialisierung, welche
die privaten Repetitoren in den letzten Jahrzehnten hineingetragen haben; darin
liegt übrigens eigentlich das wahre "Elend des Jurastudiums", das
neuerdings von manchen Kollegen immer wieder beschworen wird. Eine
wissenschaftlich präzise, auch historisch durchgeführte
Inhaltsanalyse des Angebots der Repetitorien - welche heute noch aussteht -
würde allerdings den deutlichen pädagogischen Qualitätsabfall
offenbaren im Vergleich zu der oben erwähnten alten Tradition. Diese
historischen Zusammenhänge und Hintergründe, die hier nur kurz in
Erinnerung gerufen werden konnten, scheinen übrigens heute weder den
Befürwortern noch den Kritikern dieser Unterrichtsform präsent zu
sein. Die Fallbezogenheit des heutigen deutschen Rechtsunterrichts scheint
zudem zunehmend Beachtung und Nachahmung im europäischen Ausland zu finden.
Auch hinsichtlich der Unterrichts- und Prüfungsformen
läßt sich in der Tat in Kontinentaleuropa, vor allem seit den
letzten Jahrzehnten, eine allmähliche Annäherung der beschriebenen
Unterrichts- und Ausbildungstraditionen beobachten. In den romanischen
Ländern waren die aus den napoleonischen Universitäten des
19.Jahrhunderts geerbten Unterrichtsgewohnheiten langlebig. Noch im Jahre 1922
lehnten die französischen Rechtsfakultäten kategorisch den Vorschlag
ab, schriftliche Prüfungen mit praktischen Aufgaben einzuführen. Im
Jahre 1938 sah die italienische Universitätsgesetzgebung noch vor,
daß der Kandidat einer universitären Rechtsprüfung einen
Anspruch habe, mündlich geprüft zu werden. Und in der Tat kennen bis
heute die italienischen oder die spanischen Rechtsfakultäten kaum
schriftliche Universitätsprüfungen; in diesen werden zudem nie
praktisch-konkrete und fallbezogene Aufgaben gestellt. Welche Konsequenz dies
für die Vorbereitung der nach der Universität stattfindenden
Eignungsprüfungen hat, habe ich bereits oben beschrieben. An dieser Stelle
wäre auch zu erwähnen, daß gerade dieses Problem der allzu
abstrakten Form von Unterricht und Prüfung an den Rechtsfakultäten in
Italien seit mehr als 100 Jahren heftig diskutiert wird. Noch Ende des
19.Jahrhunderts versuchte einer der damals führenden Juristen, Emanuele
Gianturco, Ordinarius für Zivilrecht in Neapel und später
italienischer Justizminister, in das Curriculum der damaligen Fakultäten
schriftliche Übungen und Exerzitationskurse einzuführen. Gianturco
dachte mit seinen Vorschlägen an die Veranstaltungen von Rudolf von
Ihering, mit dem er übrigens befreundet war. Es ist bezeichnend, daß
solche Vorschläge von der überwiegenden Anzahl der italienischen
Professoren kategorisch abgelehnt wurden. Auch in den darauffolgenden Jahren
bis nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich ähnliche Reformbemühungen
kaum durchsetzen. In den letzten Jahrzehnten haben wir allerdings erhebliche
Veränderungen in den romanischen Ländern zu beobachten. Vor allem in
Frankreich haben sich die äußeren Erscheinungsformen von Unterricht
und Prüfung an den juristischen Fakultäten erheblich gewandelt.
Bereits Mitte der 50er Jahre wurden regelmäßig sog. "travaux
dirigés" eingeführt. Spätestens seit den 70er Jahren kann man
den Eindruck gewinnen, daß die "travaux dirigés" und die damit
verbundenen schriftlichen Aufgabenstellungen, etwa der "Cas pratique" und der
"Commentaire d'arrt", eine zunehmend zentralere Stellung im französischen
Rechtsunterricht und Prüfungswesen einnehmen. Auch in Italien kann man
feststellen, daß in den letzten Jahren die universitäre Didaktik
einen deutlich zunehmenden Raum an Lektüre und Besprechung von
Gerichtsentscheidungen einräumt: Noch zu meiner Studentenzeit gab es in
den italienischen Lehrbüchern kaum Rechtsprechungshinweise; heute, 30
Jahre später, ist der Markt geradezu von studentischen
Entscheidungssammlungen überflutet. Die amerikanischen Case Books scheinen
hier das maßgebende Vorbild geliefert zu haben. Nicht unübersehbar
ist jedoch auch der Einfluß der deutschen Ausbildungsliteratur. Es ist
beispielsweise bezeichnend, daß vor zwei Jahren ein italienischer Verlag
mit der Herausgabe einer Ausbildungszeitschrift begonnen hat, welche in Anlage
und Inhalt erheblich an die deutsche "Juristische Schulung" erinnert. Sie wurde
übrigens in der JuS als italienischer Schwesterzeitschrift bereits
gefeiert. Das Hauptgewicht des Angebots liegt hier in Entscheidungsrezensionen
und vor allem in der Besprechung von gutachtlichen Übungsaufgaben, die in
den oben beschriebenen Eignungs- und Aufnahmeprüfungen nach der
Universität gestellt wurden. Es handelt sich noch um Einzelerscheinungen.
Diese Publikationen machen jedoch deutlich, daß der italienische
Rechtsunterricht sich langsam i.S. einer praktischen Ausrichtung von Inhalt und
Prüfungsanforderungen her verändert. Diese Beobachtung
läßt sich auf alle kontinentalen Rechtssysteme verallgemeinern. In
manchen Ländern ist die praktische, fallorientierte Gestaltung von
Unterricht und Prüfung deutlich im Vormarsch. Dies gilt vor allem für
die österreichischen Rechtsfakultäten und deutschsprachigen
Fakultäten in der Schweiz, nicht zuletzt hier wegen des personellen und
literarischen Einflusses aus Deutschland. Aber auch aus den Niederlanden wird
vom Niedergang des traditionellen buchorientierten Rechtsunterrichts berichtet
und vom Reformprojekt in Maastricht, wo seit 1982 das gesamte Lehrangebot
praxisbezogen ist und problem- und fallorientiert dargeboten wird.
Ausbildungszeitschriften wie in Deutschland erscheinen seit einigen Jahren in
allen drei genannten Ländern. Will man die bisherigen Beobachtungen
zusammenfassen, so kann man also vorläufig festhalten, daß auch auf
dem Gebiet von Unterrichtsformen und Prüfungsanforderungen die
kontinentalen Systeme in den letzten Jahrzehnten sich erheblich angenähert
haben, und zwar i.S. einer zunehmenden praxisbezogenen Problem- und
Fallorientierung.
Die beschriebene zunehmende praktische Orientierung des
Rechtsunterrichts im kontinentalen Bereich hat uns zugleich deutlich gemacht,
daß auch auf dem Gebiet der Nachwuchsausbildung civil law und common law
in den letzten Jahrzehnten sich erheblich näher gekommen sind. Ein
weiterer Entwicklungsfaktor kommt hier hinzu: Die Annäherung von
Ausbildung und Profession zwischen kontinentaler und englischer Rechtstradition
sowie auch innerhalb der kontinentalen Rechtssysteme haben in den letzten
Jahrzehnten in der Europäischen Gemeinschaft eine zusätzliche
zukunftsträchtige Basis erhalten. Die Öffnung und die Deregulierung
des Marktes der juristischen Beratungsleistungen im Rahmen der Dienstleistungs-
und Niederlassungsfreiheit für Rechtsanwälte innerhalb des
gemeinsamen europäischen Marktes haben seit Mitte der 80er Jahre das Bild
der Anwaltsprofession in ganz Europa tiefgreifend zu verändern begonnen.
Die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen dieser Entwicklung sowie die
hierüber ergangene Judikatur des Europäischen Gerichtshofes brauchen
hier nicht dargestellt zu werden. Wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen,
daß die Öffnung der nationalen Märkte für juristische,
anwaltliche Beratungsleistungen nicht ohne Folgen für das studentische
Studierverhalten und für die Ausbildungsstrukturen des juristischen
Nachwuchses in den einzelnen europäischen Ländern geblieben ist.
Verglichen mit der Zeit meiner studentischen Erinnerungen, als man nur die
Straßburger "Faculté Internationale de droit comparé"
kannte, ist das heutige europäische Angebot an Austausch- und
Magisterstudiengängen für ausländische Studenten und
Rechtsabsolventen explosionsartig gewachsen. Wir haben neuerdings in einigen
Fällen regelrecht integrierte juristische Studiengänge mit der
Mitwirkung von Rechtsfakultäten aus verschiedenen europäischen
Ländern. Die Saarbrücker Fakultät ist übrigens vorbildhaft
für die hier beschriebene Entwicklung. Die Anerkennung und praktische
Verwendungsfähigkeit von solchen neuen Universitätsdiplomen ist in
den einzelnen europäischen Ländern allerdings z.Zt. noch recht
unterschiedlich. Auch hier zeigt sich der beschriebene Gegensatz zwischen dem
deutschen System des Staatsexamens und denjenigen Systemen, die
Universitätsprüfungen sowie eine universitäre
Abschlußprüfung kennen: Auch die im Rahmen der beschriebenen
integrierten Studiengänge erworbenen Diplome bleiben - genauso wie die
übrigen Leistungen während der Universitätskarriere der
Kandidaten - für das Bestehen und für die Note des deutschen
Staatsexamens an sich bis heute leider belanglos; in den Ländern, die eine
juristische Universitätsabschlußprüfung kennen, werden die im
Ausland erbrachten Studierleistungen dagegen zunehmend anerkannt und
angerechnet.
Diese integrierten Studiengänge konfrontieren uns genauso wie der
übrigens immer häufiger werdende Besuch von amerikanischen Law
Schools durch europäische Rechtsabsolventen mit einer neuen Form der
Internationalisierung der Juristenausbildung, welche in der europäischen
Rechtsgeschichte keine Präzedenzen findet. Das Zeitalter der
gemeinrechtlichen Universitäten kannte ebenfalls, wie wir gesehen haben,
eine übernationale Juristenausbildung: Der einheitsstiftende Faktor war
hier allerdings die Gemeinsamkeit der Rechtssprache, die gemeinsame Denk- und
Argumentationsweise, die auf dem Studium der römischen Quellen fußte
und dadurch einen gesamteuropäischen rechtswissenschaftlichen
Diskussionszusammenhang stiftete. Die heutige Internationalisierung findet
dagegen ihre primäre Grundlage in der Öffnung der Märkte von
juristischen Dienstleistungen; für bestimmte Spezialbereiche werden diese
heute europaweit und z.T. sogar über Europa hinaus angeboten. Die
Eigenheiten der nationalen Juristenausbildung, die historisch gewachsenen
Ausbildungstraditionen und die damit verbundene unterschiedliche Denk- und
Argumentationsweise, welche auch im kontinentalen Bereich immer wieder
beobachten werden können, bleiben von einer solchen europäischen
Öffnung der Anwaltsprofession zunächst unberührt. Eine
schwierige Frage zeichnet sich hier ab: Werden die beschriebenen integrativen
Austauschstudiengänge, das immer häufigere Auftreten von
ausländischen Hochschullehrern, die inzwischen eingeführten
Eignungsprüfungen für niederlassungswillige Anwälte aus dem
europäischen Ausland sowie die Präsenz und das Auftreten von
ausländischen Anwälten vor Gericht die inzwischen im kontinentalen
Raum historisch gewachsenen, zweifellos vorhandenen nationalen Eigenheiten in
Ausbildung und Profession beeinflussen? Sind von solchen Studiengängen
Veränderungen in der Erscheinungsform und in den Methoden der nationalen
Juristenausbildung zu erwarten? Eingehende wissenschaftliche Untersuchungen
hierüber liegen eigentlich bis heute nicht vor. Eine Prognose darf
allerdings bereits jetzt formuliert werden: Sicherlich werden in näherer
Zukunft neue Formen von Unterricht und Prüfung zu entwickeln sein, welche
zugleich für Rechtsabsolventen unterschiedlicher nationaler Provenienz
geeignet sind. Gewichtige Indizien sprechen dafür, daß die
kasuistische, fallbezogene Methode, die typisch ist für den
Rechtsunterricht an den amerikanischen Law Schools, hier als Vorbild dienen
könnte und wahrscheinlich dienen wird. Die z.Zt. zu beobachtende
Verbreitung auch in Kontinentaleuropa der in Amerika entstandenen Literaturform
des Case Books liefert die ersten Anzeichen für die Richtigkeit einer
solchen Prognose. Die gemeinrechtliche Idee eines übernationalen
wissenschaftlichen Rechtsunterrichts, orientiert an zentralen
wissenschaftlichen Problemen und Inhalten und nicht an örtlichen
Einzelheiten, welche schließlich Mitte des 19.Jahrhunderts der Entstehung
der ersten amerikanischen Law Schools in Harvard Pate stand, würde dann
aus Amerika nach Europa zurückkommen.
Welche Lehren können wir aus den bisherigen historischen und
vergleichenden Beobachtungen ziehen? Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung
können und sollen nicht unmittelbare Handlungsanweisungen an Rechtspolitik
und Rechtsanwendung geben. Ihr Erkenntnisrahmen verdeutlicht jedoch die
Spielräume, welche Rechtspolitik und Rechtsanwendung zur Verfügung
stehen und liefern zugleich die Argumente, mit denen eine rechtspolitische
Debatte rational geführt werden kann. Manche Themen und Vorschläge
der heutigen Reformdiskussionen scheinen in der Tat nach dem bisherigen
europäischen Rundblick bestätigt, manche allerdings auch relativiert
oder gar widerlegt worden zu sein. Einige Stichworte seien hier zusammenfassend
aufgelistet.
Der immer wieder zu hörende Hinweis auf das hohe Alter der deutschen
Assessoren im Vergleich zu den Absolventen mancher Nachbarländer stellt
sich bei einem realistischen Vergleich - mit Ausnahme vielleicht von England -
als nicht ganz überzeugend heraus. Irreführend wäre hier ein
Altersvergleich mit den ausländischen Universitätsabsolventen.
Vergleicht man dagegen die Kandidaten der deutschen Staatsexamina mit
denjenigen der beschriebenen Eignungs- und Zulassungsprüfungen, die in den
romanischen Ländern die Funktion einer Staatsprüfung erfüllen,
und zählt man die nach der Universität dort offenbar überall
erforderliche zusätzliche Vorbereitungszeit dazu, dann liegen kaum
wesentliche Altersunterschiede vor. Ein wirklicher Kenner der Anwaltschaft in
Europa - Peter Schlosser - hat kürzlich übrigens gerade darauf
aufmerksam gemacht. Eine juristische Berufsbefähigung ist in den modernen,
äußerst ausdifferenzierten und verfeinerten Rechtssystemen offenbar
auch nicht schneller zu erlangen. Ist das Modell des deutschen Staatsexamens
also nur ein Relikt eines vergangenen autoritären
Staatsverständnisses? Auch hier ist die gelegentlich zu hörende
Schwarz-Weiß-Malerei fehl am Platze: Die starre Einheitlichkeit des
preußischen Modells des sog. "Volljuristen" scheint in der Tat bei einem
internationalen Vergleich den heutigen ausdifferenzierten Anforderungen der
juristischen Fachqualifikationen nicht immer zu entsprechen und in ihrem
Anspruch auch unrealistisch zu sein. Das differenzierte System von spezifischen
Eingangs- und Fachprüfungen, das nahezu alle kontinentalen Länder
kennen, offenbart eine weit höhere professionelle Flexibilität. Der
staatliche und nicht berufsständische Charakter des deutschen Examens
scheint allerdings auch im europäischen Vergleich keinesfalls ein Nachteil
zu sein. Die Entfremdungen und Gegensätze der juristischen
Fachprofessionen sind in den romanischen Ländern ungleich stärker als
in Deutschland als natürliche Konsequenz der Abschottung der juristischen
Berufe zueinander. Der Einfluß der Anwaltschaft auf die professionellen
Berufseingangsprüfungen in Italien und in Frankreich und die damit
verbundenen unvermeidlichen berufsständischen Einflußnahmen macht
zudem die sozialen und rechtsstaatlichen Kosten deutlich, die man hinnehmen
müßte, würde man der Einführung von Anwaltsprüfungen
zustimmen, wie es heute seitens der deutschen Anwaltschaft erneut gefordert
wird. Das Interesse der Anwaltschaft, den Zustrom zu ihrem Berufsstand zu
bremsen, ist allzu deutlich. Wenn ein Anwaltsanwärter darauf angewiesen
ist, einen Ausbildungsvertrag mit einer Anwaltskanzlei vorzuweisen - wie es
etwa heute in Italien oder in England der Fall ist -, ist zugleich vielen
subjektiven, sozialen, ökonomischen und sonstigen Präferenzen und
Einflußnahmen Tür und Tor geöffnet. Dem gilt es einen Riegel
vorzuschieben: die Anwaltschaft darf nicht allein den Kräften des Marktes
überlassen werden.
Ein anderes Thema betrifft die Effizienz des Rechtsstudiums selbst. Die
Dysfunktionalität zwischen universitärem Ausbildungsangebot und
fachjuristischen beruflichen Anforderungen scheint nicht nur in Deutschland,
sondern in ganz Kontinentaleuropa ein Problem zu sein. Die Existenz von
staatlichen, gelegentlich auch privaten Ausbildungsangeboten für eine
erfolgreiche, häufig langjährige Vorbereitung der zahlreichen
concours, concorsi, oposiciones und vergleichbaren professionellen
Eignungsprüfungen in den romanischen Ländern spricht hier allerdings
keinesfalls für eine Unterlegenheit der deutschen Fakultäten, deren
beste Absolventen immerhin in aller Regel nach etwa vier, fünf Jahren das
erste juristische Staatsexamen ohne Repetitorenhilfe meistens glänzend
bestehen. Nachdenklich macht jedoch zugleich bei einem europäischen
Vergleich der Umstand, daß das deutsche Ausbildungsmodell im Gegensatz zu
sämtlichen Rechtsfakultäten in Europa keine universitäre
Prüfungs- und Leistungskontrolle kennt. Deren Bestehen müßte
sich übrigens für die Kandidaten des ersten Staatsexamens durch ein
Anrechnungssystem auch tatsächlich lohnen. Ein solcher Verzicht, den die
deutschen Rechtsfakultäten inzwischen offenbar weitgehend verinnerlicht
haben, bedeutet zugleich auch den Verzicht, Einfluß auf die
wissenschaftliche Prägung und Orientierung des Studiums der
überwiegenden Mehrheit der Studierenden zu nehmen. Die deutschen
Fakultäten nehmen damit nicht die Chance wahr, ihre wissenschaftlichen
Qualitätsanforderungen und -profile in den Vordergrund zu rücken, um
deutlich zu machen, daß Universitätslehre und -studium um die
wissenschaftlichen Grundlagen und nicht um das sich tagtäglich
verändernde Spezialwissen zentriert werden müssen. Daß
universitäre Prüfungen auch eine steuernde und kontrollierende
Funktion des Studierverhaltens, vor allem bei einem Massenbetrieb wie heute,
haben, zeigt deutlich das erfolgreiche und effiziente französische Modell
der "travaux dirigés". Die völlige Freiheit des deutschen Studenten
ist heute offenbar nur ein Relikt aus dem 19.Jahrhundert, das häufig zu
einem ineffizienten Studienverhalten verführt und insoweit
baldmöglichst aufgegeben werden sollte. Die vergleichende Analyse macht
aber zugleich deutlich, daß das Modell der
Universitätsprüfungen in manchen romanischen Ländern kein
Vorbild sein kann und sein sollte. Ich denke hier etwa an das Fehlen der
Schriftlichkeit bei den Prüfungsanforderungen, an den Charakter einer
repetitiven Kontrolle von nur abstraktem Buchwissen und auf die damit
verbundene fehlende Fallbezogenheit der gestellten Aufgaben. Ich denke vor
allem an die Konsequenz, daß bei häufig abgeschichteten
jährlichen Prüfungen die inneren systematischen und dogmatischen
Zusammenhänge mancher Rechtsbereiche nicht mehr angemessen gelehrt und
geprüft werden können. Das deutsche Ausbildungsmodell ist hier weit
überlegen. Manche sehen dies kritischer: Die Anforderungen der
schriftlichen Klausuren seien in Deutschland einfach zu hoch; gerade darin
läge - meinen manche - das "Elend des Rechtsstudiums"; es gäbe auch
andere Formen der Kontrolle von Rechtskenntnissen. Das Lehrbuch von Medicus
wurde kürzlich in einer Art Nachruf als "das wohl eindrucksvollste Werk
gegenwärtiger Ausbildungskultur ... auf einen imponierenden
Höhepunkt, wie ihn nur die strenge Schulung am Römischen Recht und an
der Pandektistik ermöglicht" gefeiert mit dem Hinweis allerdings,
daß es sich um ein Werk handeln dürfte, "das stellvertretend
für viele andere Lehrbücher Höhepunkt und Ende einer
Ausbildungskultur markiert". Gerade aus historischer und vergleichender Sicht
möchte ich dem entschieden widersprechen: Das Modell der deutschen Klausur
bleibt, wenn man von manchen singulären Auswüchsen und kommerziellen
Trivialisierungen absieht, als pädagogisches Instrument und als
Prüfungsanforderung vorbildhaft und europaweit überlegen. Und so wird
es übrigens auch im europäischen Ausland gesehen und bewundert. Die
pädagogische Disziplinierung der juristischen Argumentation durch die
Fallbezogenheit der gutachtlichen Denkweise stellt in ihrer logischen Stringenz
und Effizienz, in ihrem Zwang zu einer rechtlichen Sachqualifikation und somit
zu einer stringenten Subsumtion einen zentralen Kern der kontinentalen
Rechtskultur dar. Das in der gemeinrechtlichen Tradition verwurzelte
Rechtsdenken in Anspruchs- und Einwendungsnormen hält in der Ausbildung
die Prozeßbezogenheit der Normanwendung bewußt und schult das
juristische Denken zu einer zielgerichteten und strengen Arbeitsdisziplin.
Gerade darin lag übrigens die wesentliche Grundlage für die
europäische Austrahlungskraft des Römischen Rechts und der deutschen
Pandektistik. Die unbestrittenen Schwierigkeitsanforderungen spiegeln nur die
wachsenden Ausdifferenzierungen und Verästelungen heutiger Rechtsdogmatik
und Rechtsfortbildung wieder. Es wäre leichtfertig und rechtspolitisch
unverantwortlich, würde man - wie manche universitären und
nichtuniversitären Stimmen heute fordern - dieses Erbstück aus der
gemeinrechtlichen Ausbildungstradition gedankenlos preisgeben.
Eine letzte Feststellung bleibt zu treffen: Ein unmittelbarer, direkter
Einfluß der Rechtsfakultäten bei der Steuerung des Zugangs zu den
juristischen Fachberufen ist offenbar nirgendwo heute in Europa festzustellen;
in Deutschland seit dem 19.Jahrhundert mit dem preußischen
Referendariatssystem, in den romanischen Ländern spätestens seit
Mitte unseres Jahrhunderts. Das englische System hat eine solche Funktion des
universitären Rechtsunterrichts nie gekannt. Dagegen zu steuern scheint
eine offenkundige Illusion zu sein; es würde zugleich Funktion und
Selbstverständnis der juristischen Fakultäten tiefgreifend
verändern, sie in Berufsschulen verwandeln, gerade in die
Anwaltsakademien, die manchen Kulturpolitikern heute vorschweben. Die
Geschichte der gemeinrechtlichen Juristenausbildung und die heutige Erfahrung
der amerikanischen Law Schools haben uns gezeigt, daß darin auch nicht
die primäre Aufgabe einer universitären Rechtsunterweisung liegt,
welche sich als rechtswissenschaftliche Lehre und Forschung verstehen und
definieren will.
|