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Verwertungsgesellschaften
nach dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz sind jedenfalls dann befugt,
Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn Vergütungsansprüche gerichtlich versagt
werden, die nur von ihnen geltend gemacht werden können.
Beschluß des Ersten
Senats vom 4. November 1987
– 1 BvR 1611, 1669/84
–
in den Verfahren über die
Verfassungsbeschwerden der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, rechtsfähiger
Verein kraft staatlicher Verleihung, vertreten durch die Vorstandsmitglieder
Frauke Ancker und Gerhard Pfennig, Poppelsdorfer Allee 43, Bonn 1, –
Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Ekkehard Gerstenberg und Dr. Hartmut Krafft,
Brienner Straße 10, München 2 – gegen 1. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom
28. Juni 1984 – I ZR 84/82 – 1 BvR 1611/84 –‚ 2. das Urteil des
Bundesgerichtshof vom 28. Juni 1984 – I ZR 65/82 – 1 BvR 1669/84 –.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
GRÜNDE:
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen
Urteile des Bundesgerichtshofs, mit denen dieser einen urheberrechtlichen
Vergütungsanspruch für das Auslegen von Zeitschriften und Zeitungen in
Friseurgeschäften und in Wartezimmern von Arztpraxen verneint hat.
I.
1. Die für die Entscheidung maßgebliche
Vorschrift des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
(Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGB1. I S. 1273) in der Fassung
des Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10. November 1972
(BGB1. I S. 2081) - UrhG - lautet:
§ 27
(1) Für das Vermieten oder Verleihen von
Vervielfältigungsstücken eines Werkes, deren Weiterverbreitung nach § 17 Abs. 2
zulässig ist, ist dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn das
Vermieten oder Verleihen Erwerbszwecken des Vermieters oder Verleihers dient
oder die Vervielfältigungsstücke durch eine der Öffentlichkeit zugängliche
Einrichtung (Bücherei, Schallplattensammlung oder Sammlung anderer
Vervielfältigungsstücke) vermietet oder verliehen werden. Der
Vergütungsanspruch kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht
werden.
(2) Absatz 1 ist nicht
anzuwenden, wenn das Werk ausschließlich zum Zweck des Vermietens oder
Verleihens erschienen ist oder die Vervielfältigungsstücke im Rahmen eines
Arbeits- oder Dienstverhältnisses ausschließlich zu dem Zweck
verliehen werden, sie bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeits-
oder Dienstverhältnis zu benutzen.
2. Der Beschwerdeführer – ein rechtsfähiger
Verein kraft staatlicher Verleihung – ist eine Verwertungsgesellschaft zur
Wahrnehmung der Rechte bildender Künstler, Bildjournalisten, Grafik-Designer,
Fotografen und Bildagenturen. Er ist mit etwa 10000 Urheberrechtsinhabern
durch sogenannte Wahrnehmungsverträge verbunden. Aufgrund dieser Verträge
treten die Berechtigten ihre bereits entstandenen oder künftigen
Vergütungsansprüche treuhänderisch zur Wahrnehmung und Einziehung an den
Beschwerdeführer ab. Diese können, wie der Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 2 UrhG
ergibt, nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Der
Zweck dieser Regelung besteht zum einen darin, den Urhebern eine praktische
Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen; zum anderen soll die beabsichtigte
Verwendung eines Teils des Vergütungsaufkommens für einen Sozialfonds zugunsten
der Urheber erleichtert werden (s. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks.
VI/3264, S. 4).
3. a) Das Verfahren 1 BvR 1611/84
Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Friseure,
die in ihren Geschäften Zeitungen und Zeitschriften für ihre Kunden auslegen.
Nachdem der Beschwerdeführer andere Friseure auf Zahlung einer pauschalierten
Vergütung in Anspruch genommen und sich dieses Rechts auch in einem Schreiben
an den Zentralverband dieses Handwerks berühmt hatte, begehrten die Kläger die
Feststellung, daß ihm für das Auslegen von Zeitungen und Zeitschriften keine
Vergütungsansprüche zustünden. Das Landgericht gab der Klage statt. Die
Berufung des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg.
b) Das Verfahren 1 BvR 1669/84
Die Kläger dieses Ausgangsverfahrens sind
Zahnärzte, die in den Wartezimmern ihrer Arztpraxen Zeitschriften und teilweise
auch Zeitungen für ihre Patienten auslegen. Sie erhoben negative Feststellungsklage,
nachdem sie vom Beschwerdeführer aufgefordert worden waren, eine Vergütung nach
§ 27 Abs. 1 UrhG zu zahlen. Das Landgericht gab der Klage statt.
c) Durch die mit den Verfassungsbeschwerden
angegriffenen Urteile wies der Bundesgerichtshof die Revisionen des Beschwerdeführers
zurück. Die Vorinstanzen seien zu Recht davon ausgegangen, das Auslegen der
Druckschriften stelle kein vergütungspflichtiges Verleihen im Sinne des § 27
Abs. 1 UrhG dar (vgl. die Entscheidungsgründe im einzelnen in GRUR 1985, S. 131
ff., sowie GRUR 1985, S. 134 ff. = BGHZ 92, 54).
4. Mit seinen Verfassungsbeschwerden rügt der
Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Verfassungsbeschwerden seien zulässig; den
Verwertungsgesellschaften müsse ein eigenes Recht zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde
wegen Verletzung von Art. 14 GG zugestanden werden, wenn es um die von ihnen
wahrgenommenen Vergütungsansprüche gehe, da sie insoweit eine verselbständigte
Stellung gegenüber den Urhebern besäßen. Jedenfalls aber müsse der Verwertungsgesellschaft
ein Recht zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde für die Urheber eingeräumt
werden, wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine Gerichtsentscheidung
richte. Andernfalls würde der verfassungsgerichtliche Schutz gegen Urteile
über verwertungsgesellschaftspflichtige Rechte ganz entfallen.
In der Sache selbst halte die Rechtsauffassung
des Bundesgerichtshofs bei verfassungskonformer Auslegung des § 27 UrhG einer
Nachprüfung nicht stand. Die Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts in seiner
Bibliotheksgroschenentscheidung (BVerfGE 31, 248 [252 f.]), wonach die
gesetzliche Einräumung des Verbreitungsrechts gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17
UrhG den Anforderungen des Art. 14 GG hinreichend Rechnung trage und es im
Belieben des Gesetzgebers stehe, die Regelung des § 27 UrhG wieder ganz
aufzuheben, entspreche nicht mehr den heutigen technischen, wirtschaftlichen
und sozialen Gegebenheiten bei der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke.
So komme dem Phänomen der Sekundär-, Tertiär- und weiteren Mehrfachnutzung
wachsende Bedeutung zu. Im Hinblick darauf habe sich die „Urheberrechtsphilosophie“
dahin gewandelt, dem Urheber nicht nur eine Beteiligung am wirtschaftlichen
Ertrag, sondern Kompensation für jede Nutzung seines Werkes zu gewähren. Hinzu
komme eine „Umlagerung der Nutzungsvorgänge von der individuell erfaßbaren und
abgeltbaren Einzelnutzung zur diffusen, massenweisen Nutzung“ ; dem trage der
Gesetzgeber dadurch Rechnung, daß er mehr und mehr dazu übergehe, Rechte
„verwertungsgesellschaftenpflichtig“ zu machen. Deshalb erschiene es
unangemessen, wenn der Gesetzgeber den Vergütungsanspruch des § 27 UrhG ganz
zurücknähme und die Urheber auf das Vervielfältigungsrecht und das der
Erschöpfung unterliegende Verbreitungsrecht verweise.
Die den angegriffenen Urteilen zugrunde liegende
Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs stehe in einem „unübersehbaren
Wertungswiderspruch“ zu § 52 Abs. 1 Satz 1 UrhG. Danach veranstalte ein
Friseur, der in seinen Geschäftsräumen Musik von Schallplatten oder Kassetten
als Hintergrundmusik ertönen lasse, eine öffentliche Wiedergabe der
musikalischen Werke. Diese sei nicht nur vergütungspflichtig, sondern
unterliege sogar dem Ausschließlichkeitsrecht der Urheber gemäß § 15 Abs. 2
Nr. 3 in Verbindung mit § 21 UrhG. Dem stehe die Tatsache, daß der Friseur die
Schallplatten oder Kassetten gekauft oder gemietet habe, nicht entgegen. Ein
Wertungswiderspruch liege ferner darin, daß – folgte man der Ansicht des
Bundesgerichtshofs – das Erwerbszwecken dienende Auslegen von Zeitungen oder
Zeitschriften durch Friseure und Zahnärzte von einer Vergütungspflicht
freigestellt sei, während die Gemeinwohlzwecken dienenden öffentlichen
Bibliotheken nach § 27 UrhG vergütungspflichtig seien. Dem könne auch nicht die
unterschiedliche Art der Werknutzung entgegengehalten werden. Soweit der
Bundesgerichtshof hierzu ausgeführt habe, die Auslage von Zeitungen und
Zeitschriften beim Friseur und Zahnarzt führe zu keinem nennenswerten
Kaufausfall, sei dieser Erwägung schon im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
keine Bedeutung beigemessen worden; sie sei weder urheberrechtlich noch
verfassungsrechtlich haltbar und zudem in tatsächlicher Hinsicht spekulativ
und empirisch nicht abgesichert, weshalb sie sich dem Vorwurf der Willkür
aussetze. Eine Abstufung des Urheberrechtsschutzes danach, ob die Werknutzung
eine kleinere oder eine größere Intensität der Beschäftigung mit dem Werk
voraussetze, sei dem Urheberrecht fremd und lasse sich sachlich nicht
rechtfertigen. Hierbei habe der Bundesgerichtshof außerdem willkürlich
Unvergleichbares miteinander verglichen, soweit er das Lesen von Büchern dem
Lesen sogenannter Publikumszeitschriften gegenübergestellt habe. Im übrigen
würden Pressebilder, Fotos, Karikaturen und Illustrationen beim Friseur und
Zahnarzt prinzipiell nicht anders betrachtet, als wenn die Zeitungen oder
Zeitschriften von einer Bibliothek oder einem Lesezirkel ausgehändigt würden,
was nach ganz herrschender Meinung als vergütungspflichtig im Sinne des § 27
UrhG angesehen werde. Das entgeltliche oder unentgeltliche Zurverfügungstellen
solcher Periodika unterliege in all diesen Fällen der Vergütungspflicht. Ein
anderes Ergebnis wäre Willkür und würde der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG widersprechen.
5. Soweit die Kläger der Ausgangsverfahren
Stellung genommen haben, verteidigen sie die angegriffenen Entscheidungen
unter Vorlage von Rechtsgutachten.
6. Der Bundesminister der Justiz hat namens der
Bundesregierung von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
Nach § 90 Abs. 1 BVerfGG kann nur derjenige
Verfassungsbeschwerde erheben, der behauptet, durch den angegriffenen Akt der
öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte
verletzt zu sein. Ob der Beschwerdeführer eine solche Verletzung eigener
Grundrechte rügen kann, ist zweifelhaft. Er ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 UrhG
nur befugt, den hier in Frage stehenden Vergütungsanspruch für den Urheber
geltend zu machen (Treuhandfunktion der Verwertungsgesellschaft; vgl.
Fromm/Nordemann, Urheberrecht. 6. Aufl., 1986, Urheberrechtswahrnehmungsgesetz
– WahrnG – § 6 Rdnr. 3 und Anm. zu § 8). Rechtsinhaber ist nach dem
Gesetzeswortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 1 UrhG weiterhin der Urheber. Dieser kann
allerdings den Vergütungsanspruch nicht selbst durchsetzen; vielmehr ist er
kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auf die Wahrnehmung durch eine
Verwertungsgesellschaft angewiesen (vgl. Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, 5.
Aufl., 1984, § 48 I 2; Fromm/Nordemann, a.a.O., § 6 WahrnG Rdnr. 3).
Einfachrechtlich liegt somit ein Fall einer gesetzlichen Prozeßstandschaft vor
(vgl. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl., 1974, § 28 I 3).
Für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat das
Bundesverfassungsgericht bisher die Geltendmachung fremder Rechte im eigenen
Namen abgelehnt (BVerfGE 25, 256 [263]; 31, 275 [280]; 56, 296 [297]) und die
Verfassungsbeschwerde einer Verwertungsgesellschaft, die sich unmittelbar
gegen § 135 UrhG richtete und neben der Verfassungsbeschwerde der Urheber
erhoben worden war, als unzulässig verworfen (BVerfGE 31, 275). Zur Begründung
hat es ausgeführt, die urheberrechtlichen Ansprüche seien lediglich „treuhänderisch
zur Wahrnehmung“ an die Verwertungsgesellschaft übertragen worden. Hierdurch
sei zwar die Verwertungsgesellschaft formal Inhaberin der Rechte geworden,
wirtschaftlich gehörten sie aber weiterhin zum Vermögen der Treugeber, der
Künstler und ihrer Rechtsnachfolger. Daher mache die Verwertungsgesellschaft
nicht die Verletzung eigener Rechte aus Art. 14 GG geltend (BVerfGE, a.a.O.
[280]).
Es ist fraglich, ob an dieser Beurteilung einer
bloß formalen Rechtsinhaberschaft der Verwertungsgesellschaften festgehalten
werden kann, nachdem der Gesetzgeber die Vergütungsansprüche
„verwertungsgesellschaftspflichtig“ gemacht hat. Der mit der Gesetzesänderung
verfolgte Zweck lag nämlich nicht nur darin, dem einzelnen Urheber die
praktische Rechtsdurchsetzung zu erleichtern; beabsichtigt war – wie bereits
dargelegt – auch, die nach § 8 WahrnG vorgeschriebenen Vorsorge- und
Unterstützungseinrichtungen zu stärken und zu fördern. Es liegt nahe, diese
Einrichtungen auch wirtschaftlich nicht den einzelnen Urhebern, sondern ihren
Rechtsträgern, den Verwertungsgesellschaften, zuzuordnen. Ob diese in einem
Teilbereich zu verzeichnende Verselbständigung der Verwertungsgesellschaften
ausreicht, ihnen ein eigenes Recht
aus Art. 14 Abs. 1 GG einzuräumen, braucht jedoch nicht abschließend
entschieden zu werden; denn der Beschwerdeführer ist zumindest in den
vorliegenden Fällen befugt, die Rechte der Urheber als Prozeßstandschafter auch
im Verfassungsbeschwerdeverfahren wahrzunehmen. Andernfalls käme man zu dem
unbilligen Ergebnis (vgl. dazu bereits BVerfGE 25, 256 [262 f.]), daß Urteile
der Zivilgerichte, wie diejenigen der Ausgangsverfahren, überhaupt nicht mit
der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnten. Dem einzelnen
Urheberrechtsinhaber ist es einfachrechtlich durch § 27 Abs. 1 Satz 2 UrhG
ausdrücklich verwehrt, den Vergütungsanspruch nach dieser Vorschrift geltend
zu machen. Er muß sich hierzu einer Verwertungsgesellschaft bedienen. Bei
dieser – gegenüber BVerfGE 31, 275 [280] geänderten – einfachrechtlichen Ausgangslage
kann der Verwertungsgesellschaft, die kraft gesetzlicher Vorschrift dazu
ermächtigt ist, die Vergütungsansprüche nach § 27 UrhG geltend zu machen, die
Möglichkeit der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung der ihr gegenüber
ergangenen Gerichtsentscheidungen nicht genommen werden. Andernfalls fände ein
Grundrechtsschutz nicht statt. Dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des
§ 27 Abs. 1 Satz 2 UrhG läßt sich jedoch nichts dafür entnehmen, daß der
Gesetzgeber die Wahrnehmungspflicht durch eine Verwertungsgesellschaft mit
einem rechtskräftigen Zivilurteil beenden wollte. Vielmehr sollten der
Verwertungsgesellschaft gerade alle gerichtlichen Mittel und Behelfe zur
Verfügung gestellt werden, um eine erleichterte Durchsetzung des Anspruchs zu
ermöglichen. Dazu muß aber auch die Verfassungsbeschwerde gegen ein anspruchsverneinendes
Gerichtsurteil gerechnet werden. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, Regeln
zu erlassen, welche die verfahrensrechtliche Stellung der
Verwertungsgesellschaften verstärken. Das gilt um so mehr, als es sich um die
Durchsetzung von Ansprüchen handelt, welche wenigstens teilweise dem der Verwertungsgesellschaften
zugeordneten Fondsvermögen zufließen. Auch das verfassungsgerichtliche
Verfahren hat dieser gesetzlichen Ausgangslage Rechnung zu tragen.
Ob diese Erwägungen auch dann zu gelten haben,
wenn eine Verwertungsgesellschaft Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine
gesetzliche Regelung aus dem Bereich des Urheberrechts erhebt (so die
Ausgangslage in BVerfGE 31, 275), kann hier dahingestellt bleiben.
III.
Die Verfassungsbeschwerden sind jedoch nicht
begründet; § 27 Abs. 1 Satz 1 UrhG verstößt weder gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1
GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat zur
verfassungsrechtlichen Einordnung des Urheberrechts im Hinblick auf die
Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG grundlegend in seinen
Entscheidungen vom 7. Juli 1971 Stellung genommen (BVerfGE 31, 229; 31, 248;
31, 255 und 31, 270). Auszugehen ist zunächst davon, daß das Urheberrecht
Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist und die vermögenswerten Rechte des
Urhebers – ebenso wie das Sacheigentum – der Ausgestaltung durch die
Rechtsordnung bedürfen. Der Gesetzgeber hat aber bei der ihm hierbei
obliegenden Aufgabe der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art.
14 Abs. 1 Satz 2 GG) den grundgesetzlich geschützten Kern des Urheberrechts zu
berücksichtigen. Zu den konstituierenden Merkmalen des Urheberrechts als
Eigentum im Sinne der Verfassung gehören danach die grundsätzliche Zuordnung
des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber im
Wege privatrechtlicher Normierung und seiner Freiheit, in eigener Verantwortung
darüber zu verfügen. Diese grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite
des Urheberrechts bedeutet indessen nicht, daß damit jede nur denkbare
Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert ist (vgl. BVerfGE 31,
229 [240 f.]).
In der zur früheren Fassung des § 27 UrhG
ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ausgeführt, der
Gesetzgeber habe mit der Einräumung des Verbreitungsrechts nach § 15 Abs. 1
Nr. 2, § 17 UrhG den Anforderungen des Art. 14 GG an eine angemessene
wirtschaftliche Verwertung des Werks ausreichend Rechnung getragen. Es könne
nicht beanstandet werden, wenn er davon ausgegangen sei, das Verbreitungsrecht
sei grundsätzlich mit der Veräußerung des Werkstücks nach Maßgabe des § 17 Abs.
2 UrhG verbraucht. Aus der grundgesetzlichen Garantie des Urheberrechts könne
kein Anspruch hergeleitet werden, daß der Urheber nach der Erschöpfung des
Verbreitungsrechts noch einmal eine Vergütung erhalte, wenn rechtmäßig
erworbene Werkexemplare verliehen oder vermietet würden. Wenn der Gesetzgeber
gleichwohl einen solchen Anspruch eingeräumt habe, sei er auch berechtigt,
den neuen Vergütungsanspruch auf Fälle der Vermietung zu Erwerbszwecken zu
beschränken. Selbst wenn die Anknüpfung an die Vermietung zu Erwerbszwecken
sachwidrig und willkürlich wäre, hätte der Urheber kein grundgesetzlich
garantiertes Recht, in jedem Fall der Ausleihe eine Vergütung zu erhalten. Der
Gesetzgeber könne ohne Verstoß gegen die Verfassung von der Regelung des § 27
Abs. 1 UrhG absehen und den früheren Rechtszustand, nämlich freie Zulässigkeit
der Vermietung von Werkstücken ohne Zustimmung des Urhebers, wiederherstellen
(vgl. BVerfGE 31, 248 [252 f.]). An dieser Auffassung wird festgehalten.
Eine verfassungskonforme Interpretation des § 27
Abs. 1 Satz 1 UrhG im Sinne einer Vergütungspflicht für das Auslegen von Zeitungen
und Zeitschriften in Geschäfts- und Praxisräumen ist entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht schon unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie
des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geboten. Dem
verwertungsrechtlichen Interesse des Urhebers ist dadurch genügt, daß dieser
bei der ersten Verbreitungshandlung die Möglichkeit gehabt hat, seine Zustimmung
von der Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen. Ein Anspruch auf zusätzliche
Vergütung – wie durch § 27 UrhG einfachgesetzlich eingeräumt – wird von der
Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gefordert; ein solcher
Anspruch unterliegt vielmehr der Disposition des Gesetzgebers. Dieser ist von
Verfassungs wegen nicht gehindert, den zusätzlichen Vergütungsanspruch zu
beschränken oder gänzlich aufzuheben.
Dieser verfassungsrechtlichen Ausgangslage werden
auch die angegriffenen Entscheidungen gerecht. Wenn der Bundesgerichtshof die
Zeitschriftenauslage in Friseurgeschäften und Wartezimmern von Arztpraxen nicht
als vergütungspflichtigen Tatbestand im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 UrhG
ansieht, so stellt das nicht von vornherein einen unzulässigen Eingriff in
einen grundgesetzlich geschützten Bereich dar, auch wenn es zu einem Ausschluß
des Vergütungsanspruchs in bestimmten Fällen führt. Ob die nur mittelbare
Förderung der Erwerbsinteressen eines Betriebes, wie das Auslegen von Zeitungen
und Zeitschriften in Geschäfts- und Praxisräumen, Erwerbszwecken dient und
daher ein vergütungspflichtiges Verleihen im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 UrhG
darstellt (vgl. Fromm/Nordemann, a.a.O., § 27 Rdnr. 2; Girth, GRUR 1975, S. 58
ff.; Hubmann, a.a.O., § 30 IV 2; Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, § 27 Anm.
2; Sack, GRUR 1979, S. 522 ff.; BB 1984, S. 1195 f. und JZ 1985, S. 140 f.;
Schack, GRUR 1978, S. 582 f.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., 1980,
§ 61 II 1, S. 288; Windisch, GRUR 1980, S. 504 [508]), betrifft ausschließlich
Fragen der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Wenn der Bundesgerichtshof
dazu, wie ein anderer Teil der Literatur (vgl. Loewenheim, GRUR 1980, S. 550
ff. und GRUR 1985, S. 136; Nirk, BB 1980, S. 553 ff.; Ricker, WRP 1983, S. 75
ff.), diese Frage verneint hat, liegt darin keine grundsätzlich unrichtige
Anschauung von der Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie des Art. 14
Abs. 1 Satz 1 GG. Daran vermögen auch die Neuerungen bei der Nutzung
urheberrechtlicher Werke und ein damit etwa einhergehender Wandel der
sogenannten Urheberrechtsphilosophie nichts zu ändern. Die Einschätzung, ob
veränderte Umstände eine Gesetzesänderung erforderlich machen, obliegt in
erster Linie dem Gesetzgeber. Ein verfassungsrechtliches Gebot einer
Vergütungspflicht für das Auslegen von Zeitschriften und Zeitungen in
Friseurgeschäften und Wartezimmern läßt sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht
herleiten.
2. Die in den angegriffenen Urteilen vorgenommene
Differenzierung zwischen der Ausleihe durch Bibliotheken und der Zeitschriftenauslage
in Friseurgeschäften und Wartezimmern von Arztpraxen läßt auch keinen Verstoß
gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Für die unterschiedliche Behandlung liegen
einleuchtende Gründe vor.
Es fehlt bereits am Rechtsbindungswillen der
Beteiligten in den Fällen der Zeitschriftenauslage in Friseurgeschäften und
Wartezimmern von Arztpraxen. Anders als bei der Bibliotheksausleihe handelt
es sich um eine einseitig gewährte Serviceleistung, deren Zweck ausschließlich
darin besteht, den Kunden oder Patienten das Warten angenehmer zu gestalten,
und die jederzeit abgeschafft werden kann. Ein Recht auf Benutzung wird weder
eingeräumt noch in Anspruch genommen.
Die Nutzungsvorgänge sind auch durchaus
unterschiedlich: Die Auswahl und Lektüre von Druckwerken (auch in Gestalt der
Sogenannten Publikumszeitschriften) wird vom Benutzer einer Bibliothek
gezielt vorgenommen. Dieser bestimmt in der Regel selbst die Nutzungsdauer.
Demgegenüber greift der Kunde oder Patient lediglich „bei Gelegenheit“ zu den
in den Geschäftsräumen oder Wartezimmern ausgelegten Zeitschriften, um die
Wartezeit bis zur Bedienung oder Beendigung der Dienstleistung oder Behandlung
zu überbrücken, wobei die Zeitspanne der Benutzung regelmäßig von den äußeren
Umständen abhängt und somit „fremdbestimmt“ bleibt. Ein Wertungswiderspruch
zwischen der Behandlung von volksbildenden öffentlichen Bibliotheken, für die
eine Vergütungspflicht besteht, und Friseuren und Zahnärzten, die für die Zeitschriftenauslage
nicht vergütungspflichtig sind, liegt sonach entgegen der vom Beschwerdeführer
vertretenen Meinung mit Rücksicht auf die unterschiedliche Art der
Nutzungsvorgänge nicht vor.
Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung
des § 27 Abs. 1 UrhG stellt auch keinen „unauflösbaren Wertungswiderspruch zu
§ 52 Abs. 1 Satz 1 UrhG“ dar. Nach dieser Vorschrift hat ein Nutzer, wie ein
Friseur, welcher in seinen Geschäftsräumen Hintergrundmusik ertönen läßt, die
Erlaubnis der zuständigen Verwertungsgesellschaft einzuholen und Gebühren zu
entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er die Schallplatten oder Kassetten
gekauft oder gemietet hat. Für diese Regelung gibt es die vom Bundesgerichtshof
hervorgehobenen gesetzessystematischen Gründe. § 52 Abs. 1 Satz 1 UrhG knüpft
an das Verwertungsrecht der unkörperlichen Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2
UrhG an. Dieses kennt aber im Gegensatz zu dem hier in Rede stehenden
Verbreitungsrecht, auf das sich § 27 Abs. 1 Satz 1 UrhG bezieht, keine
Erschöpfung, wie es gerade in § 17 Abs. 2 UrhG für das Verbreitungsrecht
geregelt ist. Es ist daher folgerichtig, wenn der Bundesgerichtshof eine
Gleichstellung des Tatbestands der Zeitschriftenauslage mit dem der
öffentlichen Werkwiedergabe unter Hinweis auf die unterschiedliche gesetzliche
Ausgestaltung der körperlichen und unkörperlichen Verwertungsrechte abgelehnt
hat. Diese Argumentation, die sich an der Gesetzessystematik orientiert und
auch den Wortlaut des Gesetzes für sich hat, kann jedenfalls nicht als
sachfremd bezeichnet werden.
(gez.) Dr. Herzog
Die Richter Dr. Simon und Dr.
Katzenstein
sind aus dem Amt ausgeschieden und daher an der Unterschrift verhindert.
Dr. Niemeyer Dr. Heußner
Dr. Henschel
Dr.
Seidl
Dr. Grimm